ISBN 978-3-336-54793-7

416 Seiten

€ 25,00

Adelia Saunders‘ Hauptfigur hat eine besondere Gabe: Sie kann Menschen lesen. Ihre Haut ist für sie durchzogen von Wörtern. Frau Bluhm ist von „Die Worte, die das Leben schreibt“ begeistert.

Frau Bluhm liest Adelia Saunders‘ „Die Worte, die das Leben schreibt“ und ist hin und weg

Frau Bluhm liest „Die Worte, die das Leben schreibt“: 5 von 5 Blu(h)men

5 Blumen Frau Bluhm liest


Adelia Saunders lädt ein zu einer ganz besonderen Pilgerreise

In ihrem Debütroman „Die Worte, die das Leben schreibt“, nimmt uns Adelia Saunders mit auf eine Pilgerreise der ganz besonderen Art: Wir dürfen die Fliege an der Wand spielen, für drei Protagonisten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und doch alle miteinander verbunden sind. Nicht zuletzt durch die besondere Gabe der mit besonderen Fähigkeiten ausgestatteten Magdalena.

Die Haut der Menschen ist für Magdalena durchzogen von Wörtern

Magdalena wohnt in einem Vorort von London. Ursprünglich stammt sie aus Litauen, kam aber mit ihrer Freundin vor einiger Zeit nach England, um dem zu entfliehen, was sie gleichzeitig so besonders macht: Magdalena kann Menschen lesen, und zwar nicht durch ungeheure empathische Fähigkeiten, oder antrainierte psychologische Fertigkeiten, sondern wortwörtlich. Die Haut der Menschen ist für sie durchzogen von Wörtern. Nichtigen Wörtern, für sie bedeutungslosen Wörtern, aber auch von sehr gewichtigen, wie zum Beispiel dem Todestag und der Todesart der jeweiligen Person. Für die junge Frau ist dies eine ungeheure Belastung, macht sie es doch unfähig einem Menschen einfach unvoreingenommen zu begegnen. Die Last, die durch diese Gabe entsteht, ist immens und so entscheidet sich Magdalena dazu, fast blind durch die Welt zu gehen und die Sehhilfe, die sie eigentlich dringend benötigt, nicht zu tragen.

An Neil entdeckt Magdalena erstmals in ihrem Leben etwas Einzigartiges

So hangelt sich Magdalena mehr schlecht als recht durch den Alltag, der schon wieder gar nicht mehr so einfach ist, nachdem Magdalena die englische Sprache lernt, und so auch wieder die Worte auf den Körper der Menschen begreifen kann. Dies alles ändert sich aber, als sie durch einen Zufall, der sich im Nachhinein eher als Schicksal erweisen wird, Neil kennenlernt. Der ist Ottonormalverbraucher im besten Sinne des Wortes. Ein ganz normaler Typ, Student, Durchschnitt im Reinformat. Und doch entdeckt Magdalena etwas ganz Einzigartiges an ihm: Er ist der erste Mensch der Welt, der auf der dünnen Haut unter seinem Auge ihren eigenen Namen stehen hat. Und das, obwohl sie sich noch nie zuvor begegnet sind.

Es ist nicht das Ziel, auf das es ankommt, sondern …?

Aber auch Neil erfährt schon bald, dass Magdalena etwas Besonderes für ihn ist. Die Begegnung der beiden hinterlässt bei ihm nachdrückliche Spuren und da er schnell merkt, dass er sie nicht vergessen kann, wirft er all seine Gewohnheiten und Konventionen über Bord und beginnt Magdalena zu suchen. Wir begleiten die beiden von London, über Paris bis nach Litauen und Spanien, und beginnen dabei, genau wie die beiden zu lernen, dass es gar nicht so sehr das Ziel ist, das den Weg, den wir gehen, zu etwas Einzigartigem macht.

Richards Reise beginnt vor 50 Jahren auf einer Ranch in Amerika

Ihr merkt schon: Der Inhalt dieses Romans ist nicht leicht zusammenzufassen. Und dabei bin ich auf einen der wirklich wichtigen Protagonisten noch gar nicht zu sprechen gekommen: auf Richard, den pensionierten Lehrer, der auch Neils Vater und der Ex-Nachbar von Magdalenas Mutter ist. Seine Reise beginnt auf der eigenen Ranch in Amerika, und das vor mehr als 50 Jahren. Er dient der Autorin als Bindeglied zwischen den Welten von Magdalena und Neil und wird dabei unversehens sowohl Auslöser, als auch schicksalshafter Wegweiser für die beiden. Gerade seine Reise ist es, die beim Leser Eindruck hinterlässt.

Ich glaube ich weiß, welche Bücher in uns die meisten Spuren hinterlassen

Beim Lesen dieses Romans habe ich mich gefragt, ob es nicht gerade die Bücher sind, deren Handlung wir kaum zusammenfassen können, die in unserem Herzen die meisten Spuren hinterlassen? Auf „Die Worte, die das Leben schreibt“ trifft diese These ganz sicher zu. Adelia Saunders ist es gelungen, einen Roman zu schreiben, der fast schon aufgebaut ist wie ein Szenenfilm, der aber durch die emotionale und sprachlich hochwertige Darstellung direkt einen kleinen Platz in der eignen Seele bekommt. Dabei verzichtet sie auf den erhobenen Zeigefinger und den überemotionalen Wink mit dem Zaunpfahl und lässt stattdessen die Figuren für sich selbst sprechen. Und ehe man’s sich versieht, ist man Teil der Welt von Magdalena, Neil und Richard. Man folgt ihren manchmal sehr wirren und ungeordneten Gedanken, Motivationen und Handlungen und fühlt sich selbst umso mehr als stummer, stiller und unsichtbarer Begleiter der beiden, weil keine der drei Personen übercharakterisiert wird, sondern einfach nur unglaublich menschlich. Mit dunklen und schönen Aspekten.

Magdalenas Gabe betrachte ich als Metapher, die mich nachdenklich macht

Ich habe die Reise mit den dreien sehr genossen. Die Metapher, die Magdalenas mysteriöse Begabung beschreibt, hat mich des Öfteren nachdenklich gestimmt. Ich glaube sie dient als Versinnbildlichung der Menschen unter uns, die in Gesichtern mehr lesen können als sie eigentlich wollen; die dazu neigen, die Probleme anderer irgendwie anzuziehen, sie sich zu eigen zu machen, und sie zu katalysieren wie ein Blitzableiter. Oftmals vergessen solche Menschen, dass sie selbst auch noch einen Anteil ihrer eigenen Kraft für ihr eigenes Leben brauchen. Der erstrebenswerte Ansatz bei dieser Sache ist es wohl, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Empathie und Selbstschutz. Und ja, wer es zwischen den Zeilen liest: Ich spreche da aus Erfahrung. Für Magdalena war die Reise von Litauen über England und Paris bis nach Spanien letztlich eine Reise zu sich selbst. Es war richtig schön, sie dabei zu begleiten.

Das offene Ende empfinde ich als große Chance

Was mir an diesem Buch besonders gefällt, ist, dass für alle drei Hauptfiguren das Ende sehr offen gestaltet ist. Auf den letzten 20 Seiten konfrontiert uns Adelia Saunders mit unzähligen Möglichkeiten, aber nur mit ganz wenigen Lösungen. Der Endgedanke ihres Romans ist wohl: Es gibt Dinge, die man ändern kann, und es gibt Dinge, die man nicht ändern kann. Ich glaube, die Lehre, die wir als Leser aus diesem Buch ziehen können, ist die, dass wir zu jedem Zeitpunkt des Lebens die Möglichkeit haben, uns zu entscheiden.

Ich kann dieses Buch nur weiterempfehlen

Also: Wer sich dazu entscheidet, dieses im Übrigen auch wunderschön und hochwertig gestaltete Buch mal zur Hand zu nehmen: Ich kann nur zuraten. Leichte Kost ist anders, aber bei aller emotionaler Tiefe ist es ein Buch, das sich flüssig liest und trotz kurzweiliger und guter Unterhaltung auch ein wenig was zum Nachdenken bietet. Beide Daumen hoch!

ISBN 978-3-336-54793-7

416 Seiten

€ 25,00

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<a href="https://buchszene.de/redakteur/frau-bluhm/" target="_self">Frau Bluhm</a>

Frau Bluhm

Geboren 1984 in Aschaffenburg, studierte Katharina Bluhm Psychologie und arbeitet seither als Erzieherin. Sie liebt Bücher und Filme. Seit 2017 bewertet sie in ihrer Kolumne „Frau Bluhm liest“ für BUCHSZENE.DE mit Begeisterung, aber auch kritisch Bücher jeden Genres. Sie lebt mit ihrer Familie in Aschaffenburg.

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