Sie belauscht den Streit der Eltern – und plötzlich sind beide tot
Rebecca ist dreizehn und wächst in schwierigen Familienverhältnissen auf. Seit ihr Vater aus dem Krieg heimgekehrt ist, leidet er unter einer schweren Neurose und aggressivem Verhalten. Es kommt regelmäßig zu häuslicher Gewalt, vor allem gegenüber der Mutter. So auch in jener verhängnisvollen und stürmischen Nacht im November 1960: Rebecca ist in ihrem Zimmer und hört einen Streit zwischen ihren Eltern, als es an der Tür klopft. Kurz darauf sind beide Eltern tot! Laut Polizei hat der Vater zunächst die Mutter und dann sich selbst gerichtet. Rebeccas Aussage über den mysteriösen nächtlichen Besuch wirft allerdings einige Fragen auf, die nie geklärt werden können.
Rebecca gelingt es nicht, das traumatische Erlebnis zu verarbeiten
Auch mehrere Jahre nach dem vermeintlichen erweiterten Suizid spricht Rebecca mit niemandem über das Erlebte und nimmt keine psychologische Hilfe in Anspruch. Als sie ihre erstes Kind Jessie bekommt, bricht bei der jungen Mutter eine schwere Psychose aus. Harvey, Jessies Vater, trennt sich in der Folge von Rebecca und zieht die gemeinsame Tochter von da an mit seiner neuen Partnerin auf. Dabei versucht er jeden Kontakt zwischen Rebecca und Jessie zu unterbinden. Aber auch Rebecca lernt einen neuen Partner kennen und bekommt mit diesem ihre zweite Tochter Iris.
Die psychisch kranke Jessie entführt ihr Baby aus der Klinik
Jahre später bekommt wiederum Jessie ihr erstes Kind. Es ist krank und benötigt dringend ärztliche Hilfe. Im Krankenhaus wird auch bei Jessie eine Psychose festgestellt, da die junge Mutter der Überzeugung ist, dass die Ärzte das Baby töten wollen. In ihrem paranoiden Wahn entführt sie ihr Kind aus der Klinik. Allen ist klar, dass das Baby in Lebensgefahr schwebt. Der Polizei rennt die Zeit davon. Auch die Familienangehörigen, allen voran Jessies Halbschwester Iris, suchen mit Hochdruck. Der Journalistin wird schnell klar, dass der Schlüssel zu Jessies Aufenthaltsort in Rebeccas Vergangenheit liegen muss, aber ihre Mutter will die wahren Hintergründe jener Nacht im November nicht preisgeben.
„Die verlorene Frau“ – ein schwerer Einstieg in einen fesselnden Roman
Emily Gunnis Roman „Die verlorene Frau“ wird über mehrere Zeitebenen und aus verschiedenen Perspektiven erzählt, zudem finden sich auch immer wieder Tagebucheinträge. Dies steigert zwar die Spannung gerade im letzten Drittel des ungemein, allerdings erschwert diese Art der Inhaltsvermittlung den Einstieg in die Handlung. Ich habe beinahe 100 Seiten gebraucht, bis ich alle Protagonisten und deren Verbindungen zuordnen und somit der Handlung ohne Verständnisschwierigkeiten folgen konnte. Von da an, war ich allerdings gefesselt von den verborgenen Familiengeheimnissen, deren ungeahnten Tragweiten und den oftmals erschreckend realistischen Offenbarungen. Ich war vor allem auf das große Geheimnis, was an jenem Abend in Rebeccas Elternhaus tatsächlich passiert ist, neugierig. Dies wird erst ganz am Ende von „Die verlorene Frau“ aufgelöst. Doch ist diese Offenbarung realistisch und schockierend zugleich. Emily Gunnis verteilt über den gesamten Roman einzelne Wissenshäppchen, die sie am Ende äußerst gelungen zu einem glaubwürdigen Familienschicksal zusammenfügt.
Emily Gunnis bietet sehr gut ausgearbeitete weibliche Figuren
Neben den erschreckenden Familiengeheimnissen, die Emily Gunnis Schritt für Schritt spannend enthüllt, überzeugen vor allem die facettenreichen und sehr gut ausgearbeiteten weiblichen Hauptfiguren. Die Autorin beschreibt sie einfühlsam und authentisch. Anfangs könnten die Frauen kaum unterschiedlicher sein, aber nach und nach lassen sich in ihren Charakteren doch einige Parallelen finden. Jede einzelne hat ihr eigenes Päckchen zu tragen. Man kann sich gut in alle weiblichen Figuren hineinversetzen und dadurch die Suche nach Jessie und der Wahrheit authentisch miterleben. Dagegen wirken die männlichen Figuren mitunter etwas blass.
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