Michael Mittermeier zählt zu Deutschlands witzigsten Kabarettisten. Dass er auch eine nachdenkliche Seite hat, zeigt er in diesem überaus unterhaltsamen Interview. Ein Gespräch über Rocker und Kakerlaken, Bono, rote Cordanzüge und optische Folter sowie die ersten Male in seinem Leben und sein neues Buch.
„Eine Frau dazu zu bringen, einen guten Western anzuschauen, ist ungefähr so, wie wenn man in der Wüste Sand in Tüten anbietet. Das muss schon echt geiler Sand sein.“
Herr Mittermeier, wir rufen Sie gerade in Ihrem Urlaub an. Da Sie einer der witzigsten Deutschen sind, stellen wir uns natürlich vor, dass Sie auch in Ihrem Urlaub unglaublich witzige Sachen machen. Was haben Sie gerade gemacht, ehe wir telefonierten?
Also jetzt habe ich … eigentlich gerade … gar nichts gemacht. Na ja, ich überspiele gerade Hörbücher für meine Tochter, weil wir wegfahren; und ich überlege gerade ein bisschen, welches Buch ich mitnehme. Also ganz schwierige Entscheidungen. Ich sitze quasi am roten Knopf. Wobei man mir eher einen Atomknopf in die Hand drücken könnte als Donald Trump.
Lassen Sie uns über Ihr neues Werk „Die Welt für Anfänger“ sprechen. Kann man sagen, dass es auch ein Buch ist, in dem Sie Ihr bisheriges Leben Revue passieren lassen, eine Art Biographie?
Eine Biographie ist es nicht. Das wirkt so schwer. Es ist eine Reise durch viele Dinge, die ich erlebt habe. Aber keine Biographie, weil die erhebt ja immer so den Anspruch, vollständig zu sein. Aber Vollständigkeit ist mir völlig egal. Ich habe eigentlich einfach nur in meine Vergangenheit geschaut und die stärksten Geschichten rausgesucht. Ich glaube, das Ganze ist eine sehr lustige, leichte Reise mit manchmal auch tiefer gehenden Passagen. Ich glaube schon, dass man von mir ein bisschen mehr versteht, wenn man das Buch liest, weil man ziemlich genau mitkriegt, wie reagiert denn der, wenn er etwas zum ersten Mal macht.
Es geht in Ihrem Buch ja um Anfänge.
Ja, es geht darum, bei welchen Dingen man zum ersten Mal ratlos dagestanden ist und aber doch handeln musste. Also zum Beispiel, wenn du das erste Mal in deinem Leben vor einer Rockergruppe spielst. Für das, was man da tun sollte, gibt’s natürlich kein Handbuch. Für mich wäre so ein Handbuch damals natürlich schön gewesen. Eines, in dem drinsteht: „Kabarettist spielt zum ersten Mal vor einer Horde Rocker, was macht er, um zu überleben?“
Eine der unglaublichsten Geschichten ist jene, in der Sie erzählen, wie Ihre Freundschaft zu Bono anfing – zu einem Zeitpunkt, in dem Sie selbst noch überhaupt nicht berühmt waren.
Ich habe diese Geschichte ja tausendmal erzählt. Aber im Buch schildere ich sie jetzt zum ersten Mal ausführlich. Ich bin also als Riesenfan von U2 1987 auf einem Konzert in der Münchner Olympiahalle und Bono verspielt sich ständig auf der Gitarre. Da fragt er ins Publikum hinein, ob ein guter Gitarrenspieler da ist. Ob ich das war, sei dahingestellt, jedenfalls stand ich in der ersten Reihe und meldete mich. Bono hat mich auf die Bühne gezogen und so durfte ich ein Lied mit der Band mitspielen. U2 war damals und ist heute noch meine Lieblingsband. Ich war 21. Das war das Größte, was einem Typen vom bayerischen Land passieren konnte. Und obwohl ich davor schon jahrelang in Fußgängerzonen gespielt und auch schon ein Soloprogramm geschrieben hatte, war das für mich ein Moment, in dem ich gewusst habe, dass es für mich nie eine Alternative geben wird, als auf so einer Bühne zu stehen.
Ein Moment, in dem es für Sie kein Zurück mehr gab.
Ja, ich habe dann sofort meine Ausbildung zum Reiseverkehrskaufmann hingeschmissen, mich ganz auf die Bühne konzentriert und mich danach nicht einen einzigen Tag gefragt, ob ich das Richtige mache.
Was haben Sie in dem Moment gedacht, als Bono Sie auf die Bühne holte?
Da denkt man nicht, das kannst du nur spüren. Das ist ein emotionaler Moment, der dich komplett überrollt. Da fliegst du. In diesem Augenblick habe ich gespürt, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
Zufall?
Das war kein Zufall, das war Schicksal. Die Geschichte ging ja dann noch weiter: Einige Zeit später fiel bei U2 die Vorgruppe für ein Konzert in Berlin aus und eine Stunde vorher fragen die mich, ob ich den Act machen will. Das war natürlich der Wahnsinn, so ganz ohne Vorbereitung, aber ich habe das gemacht.
Sie sprechen von „Schicksal“. Sie schreiben auch über Erlebnisse mit der katholischen Kirche. Wie hat das Katholische Ihr Leben verändert?
Weißt du, wenn du in der 4. Klasse von einem Geistlichen geschlagen wirst …
… damals hatten Sie von Ihrem Lehrer genauere Informationen über die merkwürdige Dreiecksliebesbeziehung zwischen Heiligem Geist, Gott und Josef eingefordert …
… und der hat gesagt, „Du dummes Kind willst die Göttlichkeit anzweifeln. Jesus ist geboren worden, um für uns alle am Kreuz zu sterben.“ Ohne, dass ich nachgedacht hätte, kam aus meinem Mund: „Aber nur, weil sie vorher genagelt haben.“
Da hat der Kaplan Sie geschlagen.
Genau. Und seitdem frage ich mich, wie die mir die Liebe und den Jesus verkaufen wollen, wenn die so etwas machen. Ganz ehrlich: Jesus hätte mich verteidigt an dem Tag im Klassenzimmer. So sieht’s aus.
Glauben Sie trotzdem an so etwas wie Gott?
Ich glaube schon, dass es so etwas gibt. Aber ich könnte es jetzt nicht genau benennen. Ist es eine Göttlichkeit? Ist es ein Universum? Es gibt da schon was.
Und in Ihrem Buch gibt es auch noch andere Anfänge. Wie wir lesen, trugen Sie bei Ihrer Einschulung einen roten Samt-Cordanzug. Was sagen Sie aus heutiger Sicht zu dieser Kleiderwahl?
Das war optische Folter! Wo war Amnesty International, als meine Mutter mich damals angezogen hat? Das muss in die Kinderrechte aufgenommen werden. Dass auch viele meiner Kollegen scheiße aussahen am ersten Schultag, damit kann ich meine Eltern vielleicht ein bisschen entlasten. Das Foto von mir im Cordanzug ist übrigens auch hinten im Buch drin.
Sie empfanden seinerzeit den Satz Ihres Vaters zum ersten Schultag – „Morgen beginnt für dich der Ernst des Lebens“ – als Zumutung. Was haben Sie selbst Ihrer Tochter zum ersten Schultag gesagt?
Diesen Satz jedenfalls nicht. Vielleicht habe ich gesagt „Hey, heute ist der erste Schultag! Das wird dir richtig Spaß machen!“ Aber das war auch in Ordnung, denn meine Tochter, die war einfach reif für die Schule; die wollte in die Schule, die wollte lesen, die Welt entdecken. Und natürlich ist die Schule dann einfach was anderes als der Kindergarten.
Als Kind glaubten Sie, dass Old Shatterhand ein Beruf sei.
Ja, das hätte doch auch sein können! Trapper war ja ein normaler Job. Gerade in Bayern, wo ich aufwuchs, hätte man so einen Fährtensucher doch gut brauchen können.
Dann haben Ihnen die Erwachsenen erklärt, dass man nicht Old Shatterhand von Beruf sein kann.
Ich hatte aber ohnehin nie so einen spezifischen Berufswunsch. Ich lebte eher in Traumwelten. Deswegen kam ich ja auch auf Old Shatterhand. Ich hatte überhaupt keinen Bock, einen Bagger zu fahren oder bei der Feuerwehr zu arbeiten. Und ich dachte mir: Old Shatterhand ist immerhin noch realistischer als Winnetou oder Tarzan.
Wieviel Kind steckt heute noch in Ihnen?
Das Entscheidende, was Kinder draufhaben, ist es, immer wieder etwas Neues zu entdecken. Und das ist jetzt für mich und meinen Beruf auch wichtig. In meinem Buch erzähle ich ja auch davon, wie ich nach New York gehe oder in andere Länder und dort allerhand erlebe. Die erste Kakerlake meines Lebens, mein erster Auftritt in New York … Das ist schon immer wieder ein Sich-Neuentdecken.
Oder Ihre erste Safari …
Oh, ich habe so abgekotzt, als dieses amerikanische Pärchen immer nur gelabert und gelabert hat. Und auf dem Flyer für den Bootstrip stand unter einem
Foto von unserem Kapitän: „Ich zeige euch den Weißen Hai und bringe euch wieder zurück.“
Mehr verraten wir jetzt aber nicht. Sie sind ja auch Cowboyfilmfan. Warum?
Keine Ahnung, vielleicht ist das bei 80 Prozent der Männer in die DNA implantiert. Aber das viel größere Problem ist ja, eine Frau dazu zu bringen, dass sie einen guten Western mit einem anschaut. Das ist ungefähr so, wie wenn man in der Wüste Sand in Tüten anbietet. Das muss schon echt geiler Sand sein. Aber es gibt ja auch gute Western – also finde ich.
Was ziemlich überrascht, ist die Tatsache, dass Sie sich dazu entschlossen haben, in Ihrem Buch auch von Ihrem ersten Mal Sex erzählen.
Da habe ich mich nicht dazu entschlossen. Wenn du ein Buch machst über Anfänge und über das erste Mal nicht schreibst, dann ist das kein Buch über Anfänge. Und außerdem – Freunde – das ist jetzt 35 Jahre her, also bitte …
Aber Sie entschuldigen sich ja schon bei Ihren ersten Freundinnen dafür, dass Sie jetzt so privat werden.
Ja, aber das haben die doch damals nicht gewusst. Also bitte! Kein Mann geht zu einer Frau und sagt zu ihr: „Hey, Baby, lass es uns machen, es ist heute übrigens mein erstes Mal!“
Entstehen Ihre Bühnenprogramme eigentlich so ähnlich wie dieses Buch?
Es ist schon ein bisschen anders, weil ich bei den Bühnenprogrammen viel mehr improvisiere. Bei dem Buch, da sitze ich da und muss es aufschreiben. Aber ich muss sagen, ich bin sauzufrieden mit meinem Buch. Als ich es für die Korrekturen nach Monaten wieder durchgelesen habe, musste ich selber über viele Geschichten lachen.
Sie lesen Ihr Buch ja auch als Hörbuch ein. Wie machen Sie das? Publikum ist ja keines da.
Ich lese dann einfach für ein imaginäres Hörerpublikum. Natürlich werde ich live vielleicht auch mal lauter, oder ich improvisiere, das mache ich im Hörbuchstudio eher nicht. Aber es ist auch kein reines Vorlesen.
Gestikulieren Sie im Studio?
Natürlich, ich kann mich gar nicht stillhalten. Es ist ja logisch: Wenn man einen Dialog hat, zum Beispiel den Dialog mit dem Laber-Pärchen in Südafrika beim Weißer-Hai-Tauchen. Da werde ich diesen Dialog natürlich durchleben, im Studio.
Lesen Sie Ihre Hörbücher stehend?
Da mache ich alles – stehen, sitzen, aber mehr so auf einem Barhocker. Ich sitze nicht auf einem Stuhl. Und ich brauche auch meine Hände, ich gestikuliere, grimassiere. Zwangsläufig verändert sich auch mein Gesichtsausdruck, wenn ich bei einem Dialog eine andere Stimme mache.
Wir kommen zu unserer letzten Frage: Einmal sind Sie zusammen mit Ozzy Osbourne bei Rock am Ring aufgetreten. Was hat er zu Ihnen gesagt?
Es war ja so, dass ich zu ihm gesagt habe, wie sehr ich ihn bewundere. Außerdem sagte ich: „Und ‚Paranoid‘ ist einer der besten Rocksongs aller Zeiten …“ Weiter kam ich aber nicht, denn Ozzy Osbourne sagte einfach nur: „Fuck you.“