Eric Lindstroms „Wie ich dich sehe“ erzählt von der sechzehnjährigen Parker, die eine ziemlich besondere Heldin ist: Parker ist seit dem Autounfall, bei dem ihre Mutter starb, blind. Damals war Parker sieben. Seit kurzem hat sie aber auch keinen Vater mehr, der lag eines Tages tot im Bett. Ein anderer Teenager würde an einer vergleichbaren Situation womöglich zerbrechen. Nicht aber Parker …
„Wie ich dich sehe“ erzählt vom Leben eines blinden Mädchens
Die Protagonistin unseres Jugendbuchtipps (Carlsen Verlag) ist nicht nur eine fabelhafte Läuferin, die täglich allein durch ihre Nachbarschaft joggt. Parker geht mit ihrer Blindheit auch offensiv um, indem sie sich stets mit einem Tuch vor den Augen in der Öffentlichkeit zeigt. Mal hat das Tuch ein Kamikaze-Muster, mal ist es sportlich, mal ist es schick. Obendrein betreibt Parker gemeinsam mit einer Freundin eine Kummerberatung für die Schülerinnen und Schüler ihrer Schule. In den Beratungsgesprächen werden die großen Probleme der Teenagerjahre besprochen – und oft auch gelöst.
„Du magst ihn immer noch, oder?
„Ich habe mit ihm Schluss gemacht.“
Trotz ihres Blindseins erlebt Parker genau die Dinge, die ein Mädchen, das sich an der Schwelle zum Erwachsensein befindet, eben so erlebt: Sie verliebt sich und trennt sich. Sie leidet unter Liebeskummer und unter Streit mit ihren Freundinnen und Freunden. („Wie ich dich sehe“ ist zweifellos auch ein sehr gelungenes Buch über Freundschaft!). Sie zweifelt an ihrem Aussehen und verzweifelt an der Welt der Erwachsenen. Sie küsst auf der Rückbank eines Autos einen Jungen, was sie als schön und aufregend empfindet. Aber ist Jason auch wirklich der Richtige für sie? Mal ist Parker bockig und mal einfühlsam. Mal ist sie selbstbewusst und mal fühlt sie sich klein. Wie sehr die Pubertät einer Gefühlswaschmaschine im Schleudergang gleicht, macht Eric Lindstroms Roman auf mitreißende Weise deutlich.
„Wie konnte Parker Grant von allen Dingen, die sie sein könnte, ausgerechnet zum Jammerlappen werden?
Die große Frage, die den Leser durch „Wie ich dich sehe“ trägt, ist die, ob es ein Fehler war, dass Parker sich von ihrem ersten Freund Scott trennte. Eigentlich müsste der einfühlsame und fürsorgliche Scott der perfekte Junge für sie sein. Doch eines Tages bringt er Parker in eine schreckliche Situation: Er küsst sie in einem Raum, den Parker für leer hält. Während des Küssens hört Parker jedoch Scotts Freunde kichern. Sie fühlt sich vorgeführt und in ihrem Blindsein erniedrigt. Sofort trennt sie sich von Scott. Alle seine Versuche, sich für den Vorfall zu entschuldigen, unterbindet sie mit beeindruckender Radikalität.
„Seit Tagen fiebere ich meinem Date mit Jason entgegen.“
Aber sie kommt Jason näher. Auch er wirkt einfühlsam und Parkers Freundinnen sagen, er sehe sehr gut aus. Doch ist Jason wirklich der Richtige? Oder doch Scott? Im Wirrwarr ihrer Gefühle bringt Parker sich am Ende von „Wie ich dich sehe“ in ziemlich große Gefahr: Um es allen zu zeigen, rennt sie ohne sehenden Assistenten und in Höchsttempo die Laufbahn entlang – und zerschellt beinahe an ihrem eigenen Ehrgeiz.
Eric Lindstroms auf Deutsch bei Carlsen erschienene Geschichte ist unser Jugendbuchtipp für alle Mädchen im Teenageralter, aber auch für erwachsene Leserinnen und Leser. Denn selten bekommt man so plastische Einblicke in die Erlebniswelt einer Jugendlichen wie in diesem Buch über Freundschaft, diesem gelungenen Highschool-Roman über ein außergewöhnliches Mädchen.