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Wie in unserem Dorf einmal ein Afrikaner Häuptling wurde

Party mit dem Pfarrer

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Es ist ja so, dass man sich auch als gläubiger Mensch niemals hundertprozentig sicher sein kann, ob es den lieben Gott wirklich gibt. Zwar laufen viele bärtige Männer herum, aber manchmal ist das dann doch nur Karl Marx oder Brad Pitt. Allerdings häufen sich in unserem Dorf in letzter Zeit die Indizien, dass es ihn gibt, den lieben Gott. Das erste Zeichen, das er uns sandte, war unser erster indischer Pfarrer. Der blieb einige Jahre, seine Predigten haben wir mitunter verstanden, und er wurde durch einen zweiten indischen Pfarrer abgelöst. Dass der zweite indische Pfarrer fast so klein war wie Oskar Matzerath in Günter Grassens (der liebe Gott hab ihn selig) Blechtrommel, interpretiere ich nicht als Beweis gegen Gottes Existenz. Denn, das bestätigte mir ein Bauer aus unserem Dorf: „Dem Inder gefällt’s bei uns in Bayern, weil unsere Trachten sind genauso bunt wie denen ihre.“

Doch auch dieser so putzige wie farbenverliebte Matzerath-Inder verließ unser Dorf nach drei Jahren und es hieß, es würde nun – oh Gott! – kein klitzekleiner Inder mehr kommen, sondern ein Afrikaner. Wobei ich der Ehrlichkeit halber sagen muss, dass man bei uns im Dorf nicht Afrikaner sagt, sondern Neger. Dies nicht, weil man damit irgendjemanden beleidigen möchte – unter den Amis, die nach dem Krieg in unserem Dorf mit Handgranaten den See leergefischt haben, waren auch viele Neger – sondern weil man bei uns im Dorf glaubt, dass Neger schon seit Jahrzehnten die Bezeichnung für einen Menschen mit dunkler Haut ist. Und warum sollte das jetzt plötzlich, quasi von einem Tag auf den anderen, anders sein? Unser Dorf ist schließlich kein Astrid-Lindgren-Buch, in dem Pippis Papa sein einiger Zeit kein Negerkönig mehr sein darf. „Leben und leben lassen“ ist ein typisch bayerisches Motto.

Weil bei uns im Dorf nicht jeden Sonntag ein afrikanischer Pfarrer seinen Einführungsgottesdienst hält, war die Kirche an besagtem Festtag fast so voll wie sonst am Heiligabend. Alle freuten sich. Die Neugier ist ein starkes, ein schönes Gefühl.

Aber als dann der neue Pfarrer in den Altarraum trat, bekamen einige doch einen Schreck. Das war kein lustiger, kleiner Inder, der, wenn er auf einem normalen Stuhl sitzt, nicht mit den Füßen auf den Boden kommt. Nein, da kam ein großer, stattlicher Mann, der in entsprechender Kleidung genauso gut ein Star-Rapper, Basketballprofi oder Buschkrieger sein konnte. Dass dieser Jünger Jesu derart respekteinflößend war, bedeutete gerade auch für die Großbauern eine Gottesprüfung: Schickte ihnen der Allmächtige doch glatt einen Kerl in ihr Revier, der ein Häuptling zu sein schien wie sie, bloß eben von einem anderen Stamm.

Immerhin – der Abgesandte Gottes kam unbewaffnet.

Und nachdem er die ersten Worte gesprochen hatte, war auch klar, dass man bei Gebeten, die dieser Mann spräche, nicht über heitere Wortstolpereien lachen würde wie bei dem lustig-winzigen Inderlein: Der Pfarrer aus Afrika sprach ein geschliffenes Deutsch; im Kirchenanzeiger stand, dass er sogar auf Deutsch eine theologische Doktorarbeit geschrieben habe. Man war sofort bereit, dies zu glauben, denn der Pfarrer hatte einen großen und gut aussehenden Kopf, in den sicherlich viel Wissen hineinpasste.

Aber zurück zum Anfang. Als allererstes sagte der Pfarrer aus Afrika: „Guten Morgen.“ Leider antwortete niemand. Es ist in einem bayerisch-katholischen Gottesdienst nicht vorgesehen, dass der Pfarrer „Guten Morgen“ sagt – wenn schon, dann „Grüß Gott – geschweige denn, dass die Gemeinde hierauf irgendetwas antworten würde. Die Redeanteile in der katholischen Kirche sind streng verteilt. Da den Gruß niemand beantwortete, sagte der Pfarrer noch einmal „Guten Morgen“ und machte mit beiden Armen auffordernde Handbewegungen, die jenen ähnelten, mit welchen unsere Bauern die Kühe in den Stall zu treiben pflegten.

Plötzlich fiel es uns Anwesenden wie Schuppen von den Augen, was zu tun war. Wir sagten „Guten Morgen“. Der Pfarrer aus Afrika sagte, dass sich das gut anhöre, dass man das fortan immer so halten werde und dass er auch sonst noch einiges ändern wolle. Die einheimischen Häuptlinge zogen die Augenbrauen gen Himmel. Sie sagten aber nichts, weil der Mann war so groß wie die beiden Inder, wenn man sie aufeinander gestellt hätte, und er konnte besser Deutsch als alle, die sich in der Kirche aufhielten.

Dann sagte der Pfarrer, dass er gehört habe, die Deutschen gingen zum Lachen in den Keller. Alle lachten. Der Pfarrer fragte, ob er hier gar nicht in Deutschland sei. Noch einmal lachten alle. Die Furcht vor dem neuen Häuptling wich einer gewissen Bewunderung. Der eine oder andere dachte sicherlich darüber nach, ob man nicht diesen Pfarrer auch einmal beim Maibock-Politiker-Derblecken auftreten lassen könnte. Aber da stimmte der Pfarrer bereits ein Lied an. Nach zwei Strophen ließ er abbrechen. Alle starrten ihn an. Was war los? Ein Lied abbrechen! So etwas hatte noch kein Pfarrer gewagt.

Der Pfarrer sagte, dass der Gottesdienst ein Fest sei; dass dieses Lied, das man da singe, ein fröhliches sei; dass er aber in dem Gesang der Kirchengemeinde von festlicher Fröhlichkeit rein gar nichts vernommen habe. Trüb und traurig fühle er sich, wenn er dies höre. Man wolle jetzt bitte noch einmal anfangen mit dem Singen, und zwar fröhlich.

Wir Bauern und Handwerker, Ärzte und Steuerberater, Holzfäller und Schriftsteller gaben uns jetzt redlich Mühe, fröhlich zu singen. Doch der Pfarrer ließ nach einer Strophe erneut abbrechen und sagte, wir sollten uns vorstellen, dass dies hier eine Art Party zu Ehren Gottes sei. Aber der Sound sei noch nicht so richtig partymäßig. Ob es vielleicht helfen könne, wenn wir beim Singen rhythmisch klatschten. Ein paar ältere Kirchenfrauen und -männer lachten verlegen auf. Klatschen in der Kirche – was für eine verrückte Idee!

Aber dann wurde gesungen und geklatscht. Bereits nach einer Strophe unterbrach der Pfarrer und sagte, er wolle jetzt noch etwas ausprobieren: Wie es wäre, wenn man nicht nur richtig fröhlich singe und klatsche, sondern dazu auch noch ein bisschen den Körper bewege. Kurz darauf sangen wir, klatschten wir, und unsere bayerischen Körper in den bayerischen Trachten bewegten sich tanzenderweise – gerade so als befänden wir uns an einem afrikanischen Lagerfeuer. Es war lustig. Es war magisch. Manch einer fand es vermutlich sogar göttlich.

Der neue Pfarrer erklärte, dass Kirche spontan sein und Spaß machen müsse. Wenn im Gottesdienst einmal etwas schief gehe, freue er sich, denn dann spüre er, dass es echt sei. Einmal kürzlich sagte er, er verstehe nicht, wieso immer nur er allein den Messwein aus dem Kelch trinken solle. Er plädiere für Wein für alle. Das gefiel auch den kritischsten und ältesten Häuptlingen in unserem Dorf – beim Weinfest der Freiwilligen Feuerwehr gibt es auch Wein für alle. Sie sagten: „Dieser neue Pfarrer, der ist wie wir, nur ein bisschen bunter. Diesen bunten Hund aus Afrika, den hat uns Gott geschickt.“ Gott wird schon wissen, warum.

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<a href="https://buchszene.de/redakteur/joerg-steinleitner/" target="_self">Jörg Steinleitner</a>

Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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