Frau Bluhm liest „Die Mitternachtstür”: 2 von 5 Blu(h)men
Wieso kann das Mädchen Catalina mit einer Türklinke einen Hügel öffnen?
Als der zwölfjährige Granite Flowerpetal mit seiner Familie von der Großstadt ins kleine Städtchen Carousel zieht, braucht er nicht lange, um zu begreifen, dass mit der verschlafenen Kleinstadt etwas so ganz und gar nicht stimmt. Die Bürger liegen sich mit merkwürdigen Bürgerinitiativen ständig in den Haaren, für seine Mitschüler und Lehrer ist Gran (so möchte er gern genannt werden) scheinbar unsichtbar – und vor allem: Was ist mit diesem sonderbaren Mädchen Catalina Catalan los, die er eines Tages dabei beobachtet, wie sie mit einer vermeintlich gewöhnlichen Türklinke ein Loch im Hügel auftut und darin verschwindet?
Dave Eggers‘ „Die Mitternachtstür“ ist eine Geschichte über Freundschaft
In seinem ersten Kinderbuch „Die Mitternachtstür“ schildert Dave Eggers anhand zweier Kinder die Geschichte einer Freundschaft und was passiert, wenn eine Stadt die Hoffnung verliert. Die über 300 Seiten lange Metapher ist in kurze Kapitel eingeteilt, die sich auch für Leser*innen, die noch nicht so geübt sind, gut bewältigen lassen. Leider ist die Gestaltung des Buches, trotz wirklich schöner Tuschezeichnungen am Anfang jedes Kapitels, nicht für die Altersgruppe ab 10 Jahren geeignet, für die Dave Eggers eigentlich schreiben wollte. Ich meine auch, dass der Inhalt und die sprachliche Darstellung in der dritten Person für zehnjährige Leser*innen relativ anspruchsvoll sind.
Schöne, blumige Wortspiele, aber auch eklatante Logiklücken
Die Geschichte von Gran und Catalina, die eine ganze Stadt vor dem Einsturz retten wollen, indem sie den Menschen Hoffnung bringen, ist wirklich schön gedacht, und wie man schon an den illustren Namen der Protagonisten sehen kann, mit blumigen Wortspielen und sprachlicher Leichtigkeit geschrieben. Allerdings gibt es an manchen Stellen eklatante Logiklücken im Aufbau, wie zum Beispiel die Tatsache, dass Gran einfach so stundenlang verschwinden und mit Beulen am Kopf und zerrissenen Hosen heimkommen kann, ohne dass seine Mutter etwas davon mitbekommt. Auch der Umstand, dass Catalina seit Jahren jede Nacht am Wiederaufbau der Stadt arbeiten will kommt mir konstruiert vor: Wie kann eine Zwölfjährige jahrelang unbemerkt nachts arbeiten und tagsüber in die Schule gehen?
Dave Eggers fühlt sich meisterhaft in die Charaktere ein
Was Dave Eggers allerdings meisterhaft gelingt, ist das Einfühlen in seine Hauptfiguren und ihr Umfeld. Die Beschreibung der Hoffnungslosigkeit und des grauen Alltages in Carousel, bevor die Dinge sich zum Guten wenden, gelingt ihm vortrefflich. Das sprachliche Bild eines gegebenen Versprechens, das Dave Eggers hier mit einem in sich zusammenstürzenden Erdbodens gleichsetzt, falls es gebrochen wird, gefällt mir sehr gut. Dass es die kleinen Gesten sind, die am Ende den großen Unterschied machen. Allerdings ist auch hier der sprachliche Anspruch für die angepeilte Altersgruppe viel zu hoch.
Wieso mein Fazit leider zwiespältig ausfallen muss
Fazit: Trotz toller Idee und sprachlich schöner Umsetzung scheitert Dave Eggers meiner Meinung nach daran, sein neues Buch der angepeilten Zielgruppe anzupassen. Als kleines Märchen, das Erwachsene gemeinsam mit ihren Kindern lesen und dabei vieles erklären können, finde ich „Die Mitternachtstür“ aber sehr gelungen.