Eines Tages brennen der fünfzehnjährigen Kim die Sicherungen durch
Kim ist fünfzehn, lebt mit Mutter, Stiefvater und -bruder in einem neureichen Haushalt in Köln und kennt ihren leiblichen Vater nicht. Das Verhältnis zu ihrem Ersatzvater Heiko ist ebenso belastet wie zu ihrem kleinen Bruder Geoffrey. Eines Tages brennen bei Kim die Sicherungen durch und sie fügt ihrem Bruder, als er mit einer Fackel hantiert, schwere Verbrennungen im Gesicht zu.
Sie soll die ganzen Sommerferien beim unbekannten Vater verbringen
Die Eltern schließen Kim vom gemeinsamen Urlaub in Miami aus. Sie soll die sechs Wochen Sommerferien bei ihrem leiblichen Vater Ronald im Ruhrgebiet verbringen. Für Kim ist dies eine Horrorvorstellung. Und zunächst sieht auch alles danach aus, dass die Zeit mit Ronald schlimm werden könnte.
Kims Vater ist ein Loser, der in einer Gewerbehalle wohnt
Ronald Papen lebt in einem Gewerbegebiet bei Duisburg. Seine „Wohnung“ besteht aus einem mit dunklem Stoff abgetrennten Teil von der Gewerbehalle. Als „Der Markisenmann“ verkauft er Anfang der Nullerjahre Restbestände qualitativ minderwertiger Markisen. Dazu klapperte er jeden Tag die Haustüren des Ruhrgebiets ab. Ronald Papen ist ein Loser.
Ronald Papen ist aber auch einfühlsam, liebevoll und er strengt sich an
Für Kim ist diese Erkenntnis zunächst niederschmetternd. Kein Kind wünscht sich einen erfolglosen Vater. Doch es dauert nicht lange und die Jugendliche entdeckt die wertvollen Seiten ihres Vaters: Er ist zwar unbeholfen und schüchtern, gleichzeitig aber unglaublich bemüht, ihr ein guter und liebevoller Vater zu sein. Mit großem Einfühlungsvermögen und durchaus realistisch beschreibt Jan Weiler, wie sich die beiden einander annähern und schätzen lernen.
Die Loser-Truppe, die sich im Gewerbehof betrinkt, ist herrlich sympathisch
Eines Tages begleitet Kim ihren Vater auf eine seiner Touren und stellt fest: Er verkauft praktisch nichts. Doch das soll sich – auch durch Kims Abgebrühtheit – im Laufe der Wochen ändern. Auch sonst bringt das Aufkreuzen der jugendlichen Tochter Veränderung auf den Gewerbehof. Ronald Papen, der selbst keinen Alkohol trinkt, teilt seine Feierabende mit drei sympathischen Außenseitern, einem Frührentner, einem Kfz-Schrauber und einem Kneipier, dessen Kneipe nur für die anderen drei existiert, weil sich keine anderen Gäste in den Gewerbehof verirren.
Lustige Pointen, Situationskomik und treffende Eltern-Kind-Geschichten
Jan Weilers Roman ist zunächst sehr lustig. Wie in seinen früheren Büchern, etwa „Und ewig schläft das Pubertier“ spielt der Autor sein Talent aus, Pointen zu setzen und skurrile Situationen zu kreieren, die dann aber doch irgendwie lebensnah sind. Gerade das Beschreiben der mitunter schrägen Konfrontationen zwischen Jugendlichen und Eltern beherrscht Jan Weiler aufs Vortrefflichste. Auch die Loser-Truppe vom Gewerbehof, die über jeden unwichtigen Mist eine Wette abschließt, sorgt für viel unterhaltsame Situationskomik.
Jan Weiler erfindet für Kim auch eine Romanze mit dem jungen Alik
Zusätzlich lässt Jan Weiler eine kleine Romanze entstehen zwischen Kim und Alik. Der Junge ist Deutscher mit tunesischen und russischen Wurzeln und es knistert zwischen den beiden von Anfang an. Diese Passagen erinnern ein wenig an Wolfgang Herrndorfs Roman „Tschick“. Gegen Ende der Geschichte überrascht Jan Weiler mit einer Auflösung, die das Geschehen in einen größeren Zusammenhang fügt. „Der Markisenmann“ steht so auch für ein Stück bundesdeutscher Geschichte.
„Der Markisenmann“ ist eine auf vielfältige Weise berührende Erzählung
„Der Markisenmann“ dürfte Jan Weilers bislang gelungenster Roman sein. Der Autor verbindet Humor mit einer wirklich auf vielfältige Weise bewegenden Erzählung, er unterhält von der ersten Seite an konsequent bis zum Schluss. Er beschreibt liebevoll und treffend die Stärken der Schwachen und die Schwächen der vermeintlich Starken. Und was es bedeutet, erwachsen zu werden und Teil einer Familie zu sein. So wird diese Coming-of-Age-Geschichte in den kommenden Jahren ziemlich sicher auch als Schullektüre eine Rolle spielen.
Ein Kritikpunkt und eine verdiente Nominierung für einen Literaturpreis
Wenn man unbedingt etwas kritisieren möchte, dann ist es die Tatsache, dass erst auf Seite 65 klar wird, dass die doch sehr erwachsen klingende Ich-Erzählerin bereits über dreißig Jahre alt ist. Bis man weiß, dass hier keine Fünfzehnjährige erzählt, irritiert die allzu eloquente Sprache doch schon etwas. Dennoch ist es eine gute Entscheidung, dass „Der Markisenmann“ für den Literaturpreis der Ruhr nominiert ist. Jan Weiler hat den Preis – nicht zuletzt wegen seines sympathischen Lobs der Currywurst in diesem Buch – verdient.
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