Frau Bluhm liest „Der Löwe büllt“: 4 von 5 Blu(h)men
Eine Woche Urlaub auf den Kanaren – bezahlt vom Chef!
Ein vom Chef bezahlter, einwöchiger Aufenthalt auf den Kanaren? Das wäre für die meisten Menschen ein Grund zur Freude. Nicht so für Nico Schnös, 47, aus Köln. Dessen Chef Tim stellt nämlich einige Bedingungen an diesen Urlaub: Erstens soll Nico dort den neuen Toyota für die Firma vorstellen, und das obwohl er eigentlich Controller, kein Marketing-Mitarbeiter ist. Das allein wäre noch zu verkraften. Die zweite Bedingung ist da schon viel schwerer zu erfüllen.
Aber der schöne Gratis-Urlaub hat einen großen Haken
In letzter Zeit fällt Nico in der Firma durch unausgeglichenes Verhalten auf. Das nimmt Tim zum Anlass, Nico über eine Smartwatch zu überwachen: Wenn sein Ruhepuls sich durch den Urlaub nicht bei unter 60 einpendelt, so steht seine Entlassung an. Er soll den Urlaub nutzen, um runterzukommen und sein Stresslevel zu senken. Leichter gesagt, als getan, denn Nicos Reisebegleitung ist keine andere, als seine Mutter Rosi. Die Katastrophe scheint vorprogrammiert.
Zwei anspruchsvolle Frauen prägen das Leben von Tommy Jauds Held
In Nicos Leben läuft so Einiges nicht rund. Vor einem Jahr starb überraschend sein Vater. Seither kümmert sich Nico um die Mutter, die, gelinde gesagt, ziemlich hohe Ansprüche an die von ihr eingeforderte Qualitätszeit hat, die sie mit ihrem Sohn verbringen möchte. Das wiederum stört Nicos Frau Mia, die, seit Nico so viel von Rosi eingespannt wird, auffällig oft mit Mitarbeiter Theo Yoga macht. Eigentlich besteht Nicos Leben nur noch aus der Arbeit im Hamsterkäfig bei Toyota und dem Zufriedenstellen der beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben. Kein Wunder, dass da manchmal Kaffeetassen fliegen oder die Nerven durchgehen. Die letzte Chance soll jetzt der von Tim bezahlte Urlaub sein, doch dann weigert sich Mia mitzukommen und Rosi steigt in die Reise mit ein.
„Der Löwe büllt“ erzählt auch vom Generationenkonflikt
Von Anfang an spielt Tommy Jaud in „Der Löwe büllt“ mit dem Konflikt, den die beiden Generationen automatisch ausfechten. Nico, der erwachsene Sohn, ist oft von Rosis „Rentnereinstellung“ genervt, versucht aber gleichzeitig seiner Mutter eine schöne Zeit zu machen, weil er denkt, sie hätte mit dem Tod seines Vaters schon genug durchgemacht. Rosi dagegen nimmt Tims Kraftlosigkeit als Weigerung wahr, noch mehr Zeit mit ihr zu verbringen, als er es sowieso schon tut, und treibt alles mit ihren deplatzierten Kommentaren gegenüber den anderen Feriengästen auf die Spitze.
Ein Gag jagt den anderen und alles geht furchtbar schief
Zunächst hatte ich wirklich so meine Bedenken, ob es Tommy Jaud gelingen würde, aus der selbstgewählten Schiene des Sarkasmus auch irgendwann noch in die Ernsthaftigkeit zu finden. Ein Gag jagt den anderen, alles was schiefgehen kann, geht schief, nichts läuft wie es soll. Irgendwann wäre mir das zu anstrengend und unrealistisch geworden.
Tommy Jaud glückt eine gute Balance zwischen Humor und Tiefe
Doch Tommy Jaud glückt es genau im richtigen Moment eine authentische und gefühlvolle Wendung in Nicos Geschichte zu bringen. Was daraus entsteht, ist eine herrliche Balance zwischen einem unterhaltsamen und kurzweiligen, humoristischen Lesevergnügen und emotionaler Tiefe. Die Zeit vergeht im Flug, wenn man sich amüsiert, und amüsieren kann man sich mit Rosi und Nico im Urlaub nun wirklich. Gerade die Tatsache, dass sich Nico darum bemüht geheim zu halten, warum dieser Urlaub stattfindet, und versucht den vom Chef aufgezwungenen Pulsmesser zu verstecken, ist oft der Grund dafür, dass sein Ruhepuls erst recht nach oben geht. Genau wie die Mundwinkel des Lesers. Wie man sich denken kann, ist Nicos Bestreben nicht von Erfolg gekrönt. Als Leser leiden wir mit Nico, genau wie wir mit Rosi lachen.
Nach der Lektüre von „Der Löwe büllt“ meidet man Ferienclubs
Jedem Kapitel, das im Ferienclub spielt, folgt eines, das erklärt, wie es überhaupt zu Nicos Stresslevel gekommen ist. Dem Autor gelingt hiermit ein geschickter Kniff, denn die wirklich humorvoll aufgearbeitete Vergangenheit Nicos lässt ihn uns als Leser besser verstehen. Emotionale Anbindung inklusive. Mit „Der Löwe büllt“, hat uns Tommy Jaud ein tolles Urlaubslesevergnügen geschenkt. Gut, die Ferienclubs wird man nach der Lektüre vermutlich meiden. Aber ansonsten bildet dieser Roman eine perfekte Ergänzung für jeden faulen Tag im Liegestuhl.