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Unser Kolumnist kannte Germany’s Next Topmodel nur vom Hörensagen. Doch seine Kinder brachten ihn dazu, mitzugucken. Und er verfiel ins Staunen. Es ist eine Sendung über Haltung und für Sprachbegeisterte.

Erst wollte Jörg Steinleitner nicht GNTM anschauen, aber dann konnte er doch nicht widerstehen

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Steinleiteners Woche GNTM anschauen

© NinaMalyna shutterstock-ID:126126110

Sayana und Theresa sind keine Klassenkameradinnen meiner Kinder

Meine drei Kinder und unsere französische Gasttochter schauen nun auch Germany’s Next Topmodel. Anfänglich hatte mich dies verwirrt, denn plötzlich sprachen Elsa, Isabella und Leonhard ständig über Mädchen, deren Namen ich noch nie gehört hatte, als wären sie beste Freundinnen. Ich fand dann aber recht schnell heraus, dass es sich bei Sayana, Theresa, Simone und den anderen „Mädels“, wie „Heidi“ sie nennt, nicht um Klassenkameradinnen, sondern um Teilnehmerinnen von „GNTM“ handelte.

Ich würde mich für „Heidi“ nicht zum Hänsel machen

„Heidi“ ist Heidi Klum, von der Karl Lagerfeld meinte, er kenne sie nicht, und Claudia Schiffer kenne sie im Übrigen auch nicht. Ich kenne Heidi Klum schon, meine Kinder haben sie mir vorgestellt: Sie ist die Frau, die besagte Sendung seit ihren Anfängen im Jahr 2006 moderiert. Wenn ich Heidi Klum bei ihrer Arbeit beobachte, denke ich immer an die Hexe aus dem Märchen. Vermutlich weil das Böse bei „Heidi“ ähnlich subtil rüberkommt wie bei der Hänsel-und-Gretel-Story. Vorne herum ist „Heidi“ ja schon immer freundlich, aber durch die Blume hören meine feinen Ohren da allerlei Fiesheit heraus. Ich würde mich definitiv nicht vor „Heidi“ ausziehen oder sonstwie zum Hänsel machen. Zu gefährlich. 

Ein Shoot-Out schnatternder Exhibitionistinnen in appetitlichen Körpern

Die Gefährlichkeit dieser „Heidi“ führte dann auch dazu, dass es mir im Laufe der GNTM-Wochen immer schwerer fiel, abends in Ruhe Zeitung zu lesen, während meine Kinder sich im Nebenraum an dem eitlen Gequatsche und Gezicke ergötzten. Es bedeutet für das Gehirn einen nicht zu unterschätzenden Energieaufwand, einen Meinungsartikel über die Einmischung der Politik in die Tarifbindung von Arbeitgeberschaft und Arbeitnehmerschaft zu lesen, während „Heidi“ einen „Shoot-Out“, also eine „Schießerei“ ankündigt, an der eine Horde schnatternder Exhibitionistinnen teilnehmen soll. Halbnackt, versteht sich, und ausgestattet mit größtenteils appetitlichen Körpern.

Meine Kinder quittierten meinen Hinweis mit Achselzucken

Daher ertappte ich mich immer häufiger dabei, im Türrahmen zu stehen und das Geschehen mitzuverfolgen. Zunehmend fassungslos. Meine Hinweise an die Kinder, es handle sich bei dieser Fernsehsendung definitiv um „perfide inszenierten Medien-Schrott“ wurden mit einem mitleidigen Nicken quittiert. Der arme, weiße, alte Mann hat eben keine Ahnung, dachten sich meine Sprösslinge vermutlich und guckten unverdrossen weiter. Steht man als Vater so im Türrahmen und keiner hört einem zu, stellt sich unversehens die Frage, wie man damit korrekterweise umgeht. Ich beschloss, meine Aussage in etwas angehobener Lautstärke zu wiederholen. Immerhin bezahle ich den Strom, der den Röhrenfernseher zum Leuchten bringt. Interessante Nebenbeobachtung: Freunde meiner Kinder staunen, wenn sie unser TV-Gerät sehen. Viele wissen nicht, dass es „so dicke“ Geräte gibt bzw. jemals gab.

Meine Tochter versicherte mir, es sei unterhaltsamer Schrott

Auf meinen nochmaligen Hinweis in Sachen „Schrott“ vermerkte meine große Tochter Isabella, 15, sie seien allesamt nicht blöde, sie wüssten sehr wohl, dass es sich um eine Schrottsendung handle, aber es sei eine unterhaltsame Schrottsendung und ich solle jetzt bitte endlich die Klappe halten, man verstehe ja gar nicht, was “Heidi” gerade erkläre.

„Im Gegenteil zu dir …“ sagte das „Mädel“ – und damit hatte sie mich

Die Geschichte hätte an dieser Stelle für mich vorüber sein können, aber da sagte eine Teilnehmerin von Germany’s Next Topmodel einen Satz, in dem folgende Wortkombination vorkam: „Im Gegenteil zu dir habe ich …“ Es war eine offensichtlich deutschsprachige Teilnehmerin, die dies sagte und sie berührte mit ihrem grammatikalisch kreativen Gesabbel irgendeinen Punkt in mir. Ich liebe ja Sprache, und wie dieses „Mädel“ – hatte ich das schon erwähnt, so nennt „Heidi“ die Teilnehmerinnen im Alter von 16 bis 26 Jahren – die Begriffe „Gegenteil“ und „Gegensatz“ virtuos vertauschte, das gefiel mir. Ich guckte also mal – aus rein sprachwissenschaftlichem Interesse natürlich – eine längere Weile mit. Und es war unterhaltsam! Im Auftrag von „Heidi“ wurden die „Mädels“ zum Beispiel ganzkörperlich mit Glitzerfarben bemalt und mussten dann in Stöckelschuhen über eine vielbefahrene Straße in Trump-Amerika hopsen. Das war saugefährlich und ein Balanceakt und zudem waren die „Mädels“ ja praktisch nackt und alle Welt schaute dabei zu. Es war ein irres Erlebnis für alle, auch mir mich. Und für „Heidi“ eh.

„Nicht auf die Straße“, rief „Heidi“, aber die Nackte hopste

Sie, ich nenne sie mal „die Hexige“, wirkte bei dieser Übung tatsächlich gestresster als die „Mädels“. Meine Vermutung ist, dass dies an „Heidis“ deutscher Seele liegt. Zwar lebt die Frau, die Karl nicht kannte, ja schon seit vielen Jahren in Los Angeles, aber wenn bemalte Mädchen in hierfür völlig ungeeigneten Absatzschuhen über vielbefahrene Straßen hopsen, dann denkt vermutlich auch „Heidi“ an die Versicherungsprämie: Was, wenn eines von den „Mädels“ stolpert und ein Hummer-Auto, zum Beispiel von Arnold Schwarzenegger, rollt über sie drüber? „Heidi“ rief also mehrmals „Nicht auf die Straße!“ Und das klang echt besorgt. Andererseits: Hätte die Märchen-Hexe ihren lecker-frischen Kinderbraten gefährdet, indem sie Hänsel und Gretel über eine Autobahn gejagt hätte? Nö.

Germany’s Next Topmodel ist eine Sendung für Sprachbegeisterte

Zum Glück für die Versicherung und die Produktionsfirma passierte keinem „Mädel“ etwas, nur eines bekam den Tipp, es solle „es mit seinem Gameface“ nicht übertreiben. Dass dieses Wort „Gameface“ nicht in meinem Wörterbuch steht, bestätigt mich in der Annahme, dass Germany’s Next Topmodel eine Sendung für Sprachbegeisterte ist. Man lernt hier linguistisch dazu. Ein anderer gerne verwendeter Begriff ist die „attitude“. Alle, nicht nur „Heidi“, sondern auch die „Mädels“ werfen damit um sich. Es geht in diesem Fall um “Haltung”.

Und jetzt noch was zu Fragen der Haltung, auch in Sachen Vibrator

Viele Kritiker der Moderne monieren ja, dass die heutige Jugend keine „Haltung“ mehr habe. Sie sollten sich mal GNTM ansehen! Die ganze Sendung baut darauf auf, jungen Frauen „Haltung“ beizubringen. Und diese „Haltung“ wiederum dient dazu, eine „Botschaft rüberzubringen“, erfahren wir von „Heidi“. Woran wir erkennen, dass „Heidi“ und Greta Thunberg im Prinzip an der gleichen guten Sache arbeiten. Weshalb wir Germany’s Next Topmodel unterstützen sollten. Und damit leben können müssen, dass in der Werbepause die Vorzüge des Vibrators „Womanizer“ angepriesen werden. Mein Sohn Leonhard, er ist zehn Jahre alt, zeigte sich sofort interessiert. Ich erläuterte ihm, dass das ein Spielzeug für Frauen ist und setzte mein Gameface auf. Auch als Vater brauchst du eine solide attitude, sonst kannst du einpacken.

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<a href="https://buchszene.de/redakteur/joerg-steinleitner/" target="_self">Jörg Steinleitner</a>

Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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