Wie schreibt man zu zweit ein Buch? Tina Rausch und Ulrich Kirstein gewähren intime Einblicke in ihre Arbeit an „Allgemeinbildung – Die 100 besten Bücher der deutschsprachigen Literatur für Dummies“.

Tina Rausch und Ulrich Kirstein über ihr Buch „Allgemeinbildung: Die 100 besten Bücher der deutschsprachigen Literatur für Dummies“

Titelbild Allgemeinbildung Die 100 besten Bücher

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Wie schreibt man zu zweit ein Buch? – Ein Werkstattgespräch

„Wie schreibt man gemeinsam ein Buch?“ Das werden wir als Autorenduo oft gefragt. Schreibt der eine den ersten, die andere den zweiten Satz? Wie einigt man sich überhaupt? Nun, da wir nicht permanent zusammensitzen und diskutieren, sondern jede_r für sich konzentriert am Schreibtisch schreibt – deshalb heißt der ja auch nicht Diskutiertisch –, haben wir ausführlich per E-Mail kommuniziert. Und tatsächlich zuletzt meist Einigkeit erzielt … Exklusiv für BUCHSZENE.DE legen wir Auszüge aus unserem E-Mail-Verkehr offen und zeigen, wie wir die 100 besten deutschsprachigen Bücher und die zehn Kapitel, in denen sie geführt werden, fanden!

Ulrich Kirstein (UK): Liebe Tina, ich halte nochmals fest, dass wir die 100 Titel in zehn Kapitel mit je 10 Büchern unterteilen und dabei nicht chronologisch, sondern irgendwie „logisch“ vorgehen. Problematisch könnte sein, dass sich bei unseren Gliederungspunkten nicht alle Leser sofort zurechtfinden. Würden sie den „Simplicissimus“ wirklich unter Abenteuer und Spannung verorten oder eher unter Krieg und Frieden suchen? „Kirschen der Freiheit“ könnte statt unter Hin und weg auch unter Gesellschaft und Familie firmieren, ebenso „Effi Briest“ statt unter Liebe und Schmerz. Wir riskieren also ein wenig Blätterei für unsere Leser.

 Tina Rausch (TR): Darüber habe ich auch noch mal nachgedacht – und bleibe dabei, dass ich eine eher unkonventionelle Einteilung charmanter und passender für die „Dummies“ finde. Das Problem, dass einige Bücher in mehrere Rubriken passen, bekommen wir schon in den Griff. Eine alphabetische Liste von Autor_innen und Werken oder eine chronologische Liste könnte hilfreich sein, zudem werden wir im Text darauf hinweisen, wenn einzelne Bücher mitunter ebenso gut in eine andere Rubrik passen würden.

UK: Haben wir eigentlich tatsächlich neben den Nobelpreisträgern Gerhart Hauptmann, Thomas Mann und Hermann Hesse Heinrich Böll und Herta Müller irgendwie übersehen? Kann ich mir gar nicht vorstellen, habe aber momentan nicht parat, wo wir sie eigentlich hinstecken wollten. Etwa nur im Top-Ten-Teil in Kapitel 11?

TR: Tatsächlich sind die beim Übertragen in die Liste verloren gegangen und jetzt wieder drin! Überhaupt ist die aktuelle Zuordnung nicht in Stein gemeißelt. Sicher zeigt sich beim Schreiben, dass manches Werk in einer anderen Rubrik doch besser aufgehoben ist – und sicherlich haben wir auch noch was vergessen oder merken, dass wir dieses oder jenes nicht unbedingt benötigen.

Ach ja: Sehr gern würde ich „den Leser“ streichen. Mit dem generischen Maskulinum tu ich mich einfach schwer. Wenn wir Stoff für Gefühlvolle etc. schreiben, umgehen wir das elegant.

UK: Das können wir gern so machen! Zu den Frauen: Man könnte „Das siebte Kreuz“ auch zu Krieg schieben, dann wären es auch bei Hin und weg wieder 10? „Erfolg“ von Feuchtwanger passt besser zu Freund und Feind, dann stimmt Krieg und Frieden auch wieder! Zu Künstler und Helden fällt mir spontan „Herrn Dames Aufzeichnungen“ von Franziska zu Reventlow ein!? 

UK: Wahrscheinlich erwartest Du schon sehnlichst eine neue Lieferung meinerseits, die jetzt gemeinerweise kurz vorm Wochenende kommt. Geplant war das so nicht, ich laufe halt wie immer meinen eigenen Ansprüchen hinterher …

TR: In Kapitel 3 ist Nossack aufgeführt, den wir schon in Kapitel 2 haben. Ich plädiere stark dafür, auf den freien Platz „Der Mann ohne Eigenschaften“ zu setzen: Die Geschwistergeschichte passt zu Familie, und um Gesellschaft geht es mehr als genug.

UK: Natürlich wieder nicht so ganz in der Zeit, aber hier wäre Kapitel 5. Ich hoffe, es ist mir ausgerechnet bei diesem kriegerischen Kapitel gelungen, mehr Begeisterung zu wecken … vielleicht bin ich gerade auch etwas leer im Kopf und massiv urlaubsreif.

Ich werde jetzt noch Dein Kapitel 4 überarbeiten und mir dann etwas Lesestoff für die nächsten beiden Kapitel (6 & 7) mit in den Urlaub nehmen.

Eines würde ich hier noch ändern wollen, möchte aber erst Deine Meinung dazu hören: Nachdem es sich überwiegend um historische Romane über die beiden Weltkriege handelt, würde ich sie gern thematisch chronologisch und nicht nach dem Zeitpunkt der Bucherscheinung (so wie jetzt) sortieren: Erster Weltkrieg – Revolution – Zweiter Weltkrieg! Also Toller und Graf nach Roth, Zweig und Remarque und dann weiter mit Seghers, Ledig, Lenz, Beyer und Geiger.

Ach ja, den einzigen Roman, den ich nicht gelesen habe, ist „Flughunde“ – aber das ist ja Dein Favorit! (Will ich noch nachholen!)

TR: Diese andere Chronologie ist eine gute Idee, fragt sich nur, wie sich das in der Gesamtschau macht, wenn ein Kapitel von dem Muster abweicht. Wollen wir das hintanstellen?

UK: Und noch ne Frage: In Kapitel 6 fehlt uns der 10. Titel. Hast Du eine Idee?
Und in Kapitel 4 habe ich den Hinweis auf Büchners „Lenz“ rausgenommen – momentan haben wir den gar nicht drin, wenn ich es richtig sehe …

TR: Was hältst du von „Das Echolot“ von Kempowski? Da hätten wir noch eine ganz andere Form. Dazu könnte man in einem extra Kasten hinterfragen, ob so ein Unterfangen überhaupt Literatur ist, und dabei auf Ähnliches eingehen wie Victor Klemperer: „Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten“ oder das Werk der Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexandrowna Alexijewitsch.

UK: Das hört sich nicht schlecht an. Haben wir Kempowski mit „Tadellöser & Wolff“ denn noch nirgends verbraten? Das weiß ich jetzt nicht auswendig …

TR: In Kapitel 8 haben sich 11 Werke geschlichen. Wen nehmen wir raus? „Jakob von Gunten“? Den bekommen wir vielleicht noch woanders unter?

TR: Hier kommt Kapitel 9 zurück, das ist wirklich fein geworden. Ich habe lange überlegt, welches ausgeklügelte Bild hinter dem „unnötigen Bildungspalast“ steht, bis mir dämmerte: die Autokorrektur. Oder?

Ich sammle schon für den Durchgang der aus dem Lektorat zurückgesendeten Kapitel. Übrigens hat Julian Barnes in dem Roman „A History of the World in 10½ Chapters“ dem Bild „Das Floß der Medusa“ und dessen Entstehungsgeschichte ein ganzes Kapitel gewidmet. Das muss bei Franzobel unbedingt noch rein!

TR: Lieber Ulrich, ich sitze am Kapitel 10 und hoffe inständig, es bis zum 2. Januar fertig zu haben. Jetzt fällt mir auf: Wir haben Kafka nirgends drin … oder habe ich da was übersehen? Er würde hervorragend in Fantasie und Wahn passen … ihn in die zehn Werke, die wir gern aufgenommen hätten, zu verdammen, fände ich ein bisschen popelig. Fragt sich nur: statt wem?

UK: Liebe Tina, tatsächlich, ich kann mich auch nicht an Kafka erinnern, aber wir sollten ihn unbedingt aufnehmen, da hast Du recht!

Das Wichtigste über das neue Dummies-Buch in Kürze:

Mit Bestenlisten ist es so eine Krux: Gerade in der Literatur scheint es fast anmaßend, eine allgemeingültige Auswahl treffen zu wollen. So stellt dieses Autorenduo in der Einleitung auch gleich klar, dass es keinen Kanon klassischer Literatur präsentiert, sondern eher eine „Art Leseliste guter Bücher“ quer durch alle Epochen. Damit jeder das für sich Passende schnell findet, sind die Werke thematisch statt chronologisch geordnet: Unter Stoff für Gefühlvolle versammeln sich je zehn Romane zu den Themenpaaren Humor und Melancholie, Liebe und Schmerz, Gesellschaft und Familie; zudem gibt‘s Stoff für Nervenstarke sowie Neugierige mit entsprechenden Unterthemen. Jedes Werk und sein Autor werden kurz und knackig vorgestellt – und ehe Sie sich‘s versehen, haben Sie sich von Grimmelshausen bis Juli Zeh, von Goethe bis Zaimoglu einen fundierten und zugleich höchst unterhaltsamen Literaturkanon erschlossen!

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ISBN 978-3-527-71642-5

262 Seiten

€ 15,00

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Tina Rausch

Geboren 1970, studierte Tina Rausch in München Neuere Deutsche Literatur und Erziehungswissenschaften. Seither ist sie freiberufliche Redakteurin, Lektorin und Literaturvermittlerin – unter anderem mit dem Ziel, (junge) Menschen für Literatur zu begeistern.

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