Herr Hoffleit, Ihr Roman „Unter dem Heiligen Kreuz“ beginnt mit einer drastischen Ankündigung: „Heute werde ich ihn töten, mit meinen eigenen Händen, so wie ich es vor so langer Zeit geschworen habe“, sagt einer Ihrer Helden. Wer ist das und wer soll sein Opfer sein?
Der ayyubische Sultan Saladin schwört, seinen Erzfeind Rainald von Chattilion zu töten. Rainald nahm teil an der großen Schlacht am See Genezareth, die sich im zweiten Kapitel entfaltet. Im Namen des Kreuzes hatte er arabische Karawanen überfallen, ausgeraubt und gemeuchelt. Er hatte sogar ein Schiff durch die Wüste transportieren lassen, um im Roten Meer Piraterie zu betreiben und die heiligen Stätten der Muslime, Medina und Mekka, anzugreifen. Aber auch eine persönliche Geschichte verband Saladin und Rainald, wie wir im Buch erfahren.
Ihr Werk versetzt uns ins Jahr 1187. Was geschieht zu dieser Zeit in Europa und im Nahen Osten?
Saladin schlägt das Heer des Königreichs Jerusalem und erobert die Heilige Stadt. Im christlichen Europa löst das einen Schock aus. Dort ist man überzeugt, dass die – äußerst blutige – Rückeroberung Jerusalems im Jahr 1099 die göttliche Ordnung wiederhergestellt hat. Die Heilige Stadt muss den Christen gehören. Aber das Outremer, das Heilige Land, ist auch von politischem und ökonomischem Interesse. Niedrigen Adligen, Ausgestoßenen und anderen Abenteurern bietet es die Möglichkeit, ganz groß rauszukommen, eigenes Land zu besitzen, Truppen zu befehligen, reich zu werden. Der Dritte Kreuzzug ist eine massive Militäroffensive gegen das von Saladin regierte ayyubidische Reich, an der das Heilige Römische Reich Deutscher Nation unter Kaiser Barbarossa, England unter Richard Löwenherz und Frankreich unter Philip August, sowie viele christliche Kleinstaaten wie Österreich teilnehmen.
Wer sind die Hauptfiguren, denen Sie mit Ihrer Geschichte folgen?
Die arabische Seite erlebt der Leser durch die Augen Al-Adils. Er ist Saladins Bruder, Chefdiplomat und General. Al-Adil wünscht sich, wie Saladin, eine friedliche Koexistenz mit den Christen. Seine Neffen, vor allem der Thronfolger Al-Afdal, haben allerdings andere Pläne, so dass Al-Adil beim Rückzugsgefecht gegen die Kreuzfahrer immer einen Blick über die Schulter werfen muss. Alle Kapitel aus Al-Adils Sicht haben arabische Überschriften.
Und anhand welcher Charaktere erzählen Sie die römischen Kapitel?
Die römischen Kapitel sind aus der Sicht mehrerer Personen geschrieben. Zunächst erzählt Friedrich VI. von Schwaben, Barbarossas Sohn, von der Reise ins Heilige Land, später erleben wir aus der Sicht Leopolds V. von Österreich die Schlacht von Akkon und dessen Konflikt mit Richard Löwenherz, während einige Kapitel auch aus der Sicht Johann Ohnelands verfasst sind, Richards kleinem Bruder, der England während des Kreuzzugs für ihn verwalten sollte, ihn betrog und das Volk an den Rand eines Aufstands brachte. Dieser Aspekt des Dritten Kreuzzugs wurde auch schon in der Robin Hood Saga thematisiert.
Die römischen Kapitel haben lateinische Überschriften.
Es gibt auch eine Frau, die eine bedeutende Rolle spielt.
Ja, Berengaria, die Prinzessin von Navarra, ist die eigentliche Protagonistin des Buches. Bei ihr laufen sozusagen alle Fäden zusammen. Im Laufe des Buches wird sie Richards Ehefrau und damit Königin von England. Wie Al-Adil und Saladin auf der anderen Seite träumt sie vom Frieden zwischen den Religionen, wird aber in den Krieg, den Kreuzzug und die darauf folgenden Ereignisse hineingezogen und gelangt zu der Auffassung, dass in Krisenzeiten oft der Zweck die Mittel heiligt, erlebt eine Transformation von einer naiven Prinzessin zu einer skrupellosen Machtpolitikerin.
Was hat es mit den Überschriften der iberischen Kapitel auf sich?
Das sind spanische Sprichwörter, die jeweils etwas mit der Handlung der einzelnen Kapitel zu tun haben.
Neben den persönlichen Kämpfen der Protagonisten erzählen Sie auch vom Ringen der Religionen.
Die islamische Expansion war ein Schock für das Christentum, das damals ja auch erst wenige Jahrhunderte alt und von allen Seiten bedroht war: Im Norden und Osten Europas weigerten sich die Heiden standhaft, die neue Religion anzunehmen. Von Anfang an gab es Konfessionskriege. Die Arianer, die Marconiter und andere Sekten wurden brutal ausgelöscht. In der Romanhandlung spielen die Albigenser bzw. Katharer eine Rolle.
Jerusalem dagegen war nach dem Fall Westroms zuerst Teil des oströmischen, also byzantinischen Reichs …
Ja, und es fiel dann eine Zeit lang in die Hände der Sassaniden. Als Mohammed, der Prophet des Islam, 622 Mekka eroberte, war das nur der Anfang der islamischen Expansion, die für damalige Verhältnisse unfassbar schnell vonstatten ging. Noch zu Mohammeds Lebzeiten war die arabische Halbinsel in den Händen der Muslime, seine Nachfolger, die ummayadischen Kalifen, eroberten das Heilige Land und schon 637 Jerusalem. Keine hundert Jahre nach der Eroberung Mekkas standen islamische Armeen auf der iberischen Halbinsel.
Was sahen die Christen in den Kreuzzügen?
Sie betrachteten sie nicht als militärische Offensive, sondern als Rückeroberung ihres Allerheiligsten. Die Muslime hatten das Abendland in einem riesigen Zangengriff eingefasst. 732 schlug Karl Martell die Muslime bei Poitiers, aber der Süden der iberischen Halbinsel blieb unter muslimischer Kontrolle. Die Eroberung der heiligen Stätten, Betlehem, der Geburtsstatt Jesu, des heiligen Grabs und der Hügel der Kreuzigung durch Ungläubige wurde als Sakrileg angesehen. Die „maurische Front“ im Westen spielt im Roman ebenfalls eine Rolle.
Die Kurie nutzte die Kreuzzüge aber auch als Machtmittel?
Stimmt. Der Heilige Stuhl versuchte über sie um Einfluss auf die Königs- und Adelshäuser auszuüben. Ein Kreuzzug war immens teuer und extrem gefährlich, brachte aber auch die Aussicht auf irdische Reichtümer mit sich und wurde vom Klerus als sichere Eintrittskarte ins Paradies beworben. Im ersten Kreuzzug, bei der sehr blutigen Eroberung Jerusalems 1099, herrschte eine Art religiöser Wahn. Jeder zweite Ritter erwarb einen Splitter vom echten Kreuz, Knochen von Heiligen oder andere Reliquien. Knapp neunzig Jahre nach dem Massaker in Jerusalem hatten die Muslime dieses Ereignis immer noch gut im Gedächtnis und sannen auf Rache.
Ihre Schilderungen sind sehr präzise und alltagsnah. Wie haben Sie recherchiert?
Neben diversen Quellen im Internet habe ich auch historische Werke über die Zeitperiode zu Rate gezogen. Das Werk, das am meisten Einfluss auf den Roman hatte, war „Die Kreuzzüge und die Kultur ihrer Zeit“ von Otto Henne am Rhyn, erstmals publiziert 1884. Ich habe die Ausgabe „Geschichte der Kreuzzüge“ vom Emil Vollmer Verlag benutzt. Diverse Anekdoten, die der Autor in seinem Geschichtswerk erzählt, wie Eberhard von Salisburys Verlust der rechten Hand, der den Stoiker nicht brechen konnte, sondern nur dazu veranlasste, von nun an mit links zu kämpfen, sind in die Handlung eingeflossen.
Wie viel erzählerische Freiheit haben Sie sich herausgenommen, um so lebendig erzählen zu können?
Ich habe mir selbst zur Regel gemacht, mich dort, wo die Quellenlage eindeutig ist, an die historische Überlieferung zu halten, dort, wo sich die Quellen widersprechen, habe ich danach ausgewählt, welche Version am Besten in mein Erzählkonzept passt und dort, wo nach fast tausend Jahren die Quellenlage dünn oder nicht vorhanden ist, habe ich großzügig ausgeschmückt und dazu erfunden.
Haben Sie ein Beispiel?
Ja, über Berengaria von Navarra ist so gut wie nichts überliefert, außer dass sie Richard Löwenherz geheiratet hat und mit ihm auf dem Kreuzzug war. Das gab mir die Möglichkeit, sie nach dem Vorbild der Eleonore von Aquitanien oder Blanka von Kastilien als Frau darzustellen, die sich politisch betätigt, was im Mittelalter – für Frauen des europäischen Hochadels – ungewöhnlich, aber nicht ausgeschlossen war. Ein anderes Beispiel sind die Schlachten Al-Adils im dritten Band, von denen im Gegensatz zu den Ereignissen während des Kreuzzuges keine Details überliefert sind, die ich daher relativ frei gestalten konnte, wobei ich mich am Verlauf ähnlicher historischer Schlachten, die genauer überliefert sind, und der mittelalterlichen militärischen Taktik und Technik orientiert habe.
Das klingt alles sehr durchdacht. Hatten Sie von Anfang an eine klare Vorstellung, wie Sie mit Fakten und Fiktion umgehen wollen?
Es war mir sehr wichtig dort, wo die Quellenlage es erlaubt, historisch möglichst akkurat zu bleiben ohne die Handlung zu sehr aufzublähen. Ob mir das gelungen ist oder nicht, muss der Leser entscheiden. Jemand anderes hätte vielleicht andere Ereignisse ausgewählt oder wäre mehr von den historischen Vorlagen abgewichen. Ich persönlich mag es nicht, wenn ein Buch (oder ein Film) behauptet, auf einer wahren Begebenheit zu basieren, um dann meilenweit von der Geschichte abzuweichen. So ist zum Beispiel „Braveheart“ in meinen Augen zwar ein gut gemachter Film, den ich mehrmals angesehen und jedesmal mitgefiebert habe. Er ist aber so voller historischer Ungenauigkeiten, dass man gar nicht mehr davon sprechen kann, der Film würde das Leben des echten William Wallace nacherzählen. Stattdessen hat Mel Gibson seiner Figur Wallace seine eigenen Werte auf die Zunge gelegt. Auch in „Kingdom of Heavens“ agiert Balian wie ein moderner Mensch, nicht wie ein mittelalterlicher Ritter. Im Gegensatz zum Film erwähne ich in meinem Roman das hohe Lösegeld, das Balian für den freien Abzug der Adligen aus Jerusalem zahlen musste und das Schicksal derer, die nicht bezahlen konnten, wobei Saladin und Al-Adil, wie im Buch dargestellt, für mittelalterliche Verhältnisse hier tatsächlich mehr als gnädig gewesen sind.
Aber passiert es einem nicht automatisch, dass man als Schriftsteller historischer Romane gewisse Wertungen einbringt?
Natürlich kommen auch in meinem Buch einige Charaktere besser weg als andere, aber eine scharfe „Schwarz-Weiß“-Abgrenzung wie in den genannten Hollywoodfilmen erschien mir unhistorisch. Auch ein Richard Löwenherz hatte seine Schwächen, Saladin seine dunklen Seiten. Ein Bösewicht, der einfach nur böse ist, erinnert eher an eine Comicfigur, als an eine historische Persönlichkeit. Die Abgründe der Seele; Gier, Hass, Neid, Missgunst und Verachtung, haben ihre Wurzeln in der persönlichen Geschichte des Einzelnen. Das „Warum“ zu ergründen ist das Interessante an der Erforschung der geschichtlichen Figuren.
Sie geben in der Romanhandlung nicht an, von welchem Friedrich oder Heinrich genau Sie schreiben, die Araber heißen alle Al-Dies oder Al-Das. Sie nennen die Leute aus dem Deutschen Reich des Mittelalters „Römer“ und schreiben nicht vom „byzantinischen Kaiser“, sondern ebenfalls vom „Römischen Reich.“
Ich habe versucht, mich an das Motto „gib Anachronismen keine Chance!“ zu halten. Bezeichnungen wie „das byzantinische Reich“ oder der Zusatz „Deutscher Nation“ des Heiligen Römischen Reiches wurden, wie die Nummerierungen von Königen und Päpsten mit römischen Zahlen, im Nachhinein vorgenommen. Ich schreibe auch nicht von „Frankreich“, sondern vom „Frankenland“, weil die Franken zwar ein Königtum hatten, sich aber nicht in dem Sinne als „Reich“ aufgefasst haben wie die Römer auf deutschem Gebiet oder die Römer in Konstantinopel. Einige Seitenhiebe darauf, dass so viele Parteien sich als die Erben des Alten Roms unter Caesar und Augustus ansehen, konnte ich mir allerdings nicht verkneifen. Die Araber habe ich versucht über ihre Eigenschaften und ihre Ehrennamen (Ghazi, Saphadin, etc.) unterscheidbar zu machen, die hießen eben tatsächlich Al-Adil, Al-Afdal und Al-Aziz (etc.), genauso wie der Lieblingsname für Iberer Sancho war und es bei den Engländern, Franken und Teutonen eine Inflation von Heinrichs und Friedrichs gab.
Die Namensgleichheit vieler Personen wirkt wie eine Art Running Gag in Ihrem Roman.
Das ist auch so beabsichtigt. Im mehrseitigen Index am Ende des Buches liste ich für den Interessierten die verschiedenen Inhaber der Namen inklusive der nachträglichen Nummerierung auf. Ich denke, man kann mein Buch auch genießen, wenn man sich nicht für jedes historische Detail interessiert. Wer aber einfach etwas „Seichtes“ lesen will, ist mit einem historischen Roman vielleicht nicht unbedingt gut bedient.
Waren Sie an einzelnen Schauplätzen Ihres Romans?
Die Idee zu dem Roman kam mir in der Silvesternacht 2019/20. Drei Monate lang beschäftigte ich mich zunächst nur mit Recherchen und schrieb keine einzige Zeile. In dieser Zeit entstand der Plan, im Sommer 2020 über Ungarn in die Türkei zu fahren und die Route des Kreuzzugs Barbarossas nachzuvollziehen. Auch von dort aus nach Israel weiterzureisen und die Stätten der Handlung aufzusuchen, war geplant. Leider kam dann im März 2020 der Lockdown und die Reisebeschränkungen. Ende 2020 war mein Roman dann leider ohne Besichtigung der Handlungsorte fertig geschrieben.
Was hat Sie zu so intensiver Beschäftigung gerade mit dem dritten Kreuzzug inspiriert?
Neben Fantasy und Science-Fiction bin ich ein großer Fan von historischem Stoff, insbesondere das alte Rom und das Mittelalter finde ich interessant. „Robin Hood“, „Die Säulen der Erde“, „Die Päpstin“ und andere historische Romane haben mich genauso inspiriert wie Filme des Genres. Insbesondere „Kingdom of Heavens“ (ich empfehle ganz dringend den viel längeren Directors Cut, in dem viele Fragen beantwortet werden, welche in der Kinofassung offen bleiben) hat da Einfluss ausgeübt. Mein Roman fängt ja quasi dort an, wo der Film endet. Als mir die ersten Ideen zu dem Buch kamen, fand ich heraus, dass zwar fast jeder Richard Löwenherz als Nebenfigur des Robin-Hood-Stoffes kennt und auch Saladin vielen ein Begriff ist, es aber bisher kein Werk gibt, das den dritten Kreuzzug in der Weise thematisiert, wie ich das in meinem Roman tue.
Gibt es Parallelen oder Konstanten, die sich von der damaligen Zeit in unsere Gegenwart übertragen bzw. verfolgen lassen? Können wir etwas aus der Vergangenheit lernen?
Ich denke schon, dass wir etwas von den historischen Figuren lernen können, mit denen sich mein Roman beschäftigt. Beide Seiten, die Ayyubiden um Saladin und die Plantagenets um Richard Löwenherz, wollten eine friedliche Lösung des Konfliktes erzielen, konnten das aber in den eigenen Reihen kaum überzeugend vermitteln und wurden aufgrund der guten diplomatischen Beziehung zum Feind von Verbündeten gar des Verrats geziehen.
Können Sie noch konkreter werden?
Es erscheint mir auch in der heutigen Zeit unbedingt geboten, sich für den Frieden zwischen den Völkern und Religionen einzusetzen. So wie im Mittelalter der Streit der Adligen Krieg auslöste, den dann die Gewöhnlichen führen und oft mit dem Leben bezahlen mussten, sind es heute die Politiker und Wirtschaftsbosse, die bestimmen, wer Freund und wer Feind ist, während auf dem Schlachtfeld wieder der kleine Mann stirbt, der gar keine politische Agenda hat, sondern nur seine Familie beschützen möchte. Wir haben vielleicht mehr Technologie, grausamere Waffen und schnellere Transportmittel als die Kreuzfahrer. Aber die vorgeschobenen Gründe für den Krieg sind die gleichen: Religion, Ideologie, Werte. Und auch die wahren Gründe für den Krieg haben sich nicht geändert: Ressourcenhunger, Gier, Neid.
Sie sind Philosoph und Lehrer, sie haben Familie – sind also gut beschäftigt. Wie und wann schreiben Sie?
Kurze Antwort: In den Schulferien. Lange Antwort: Es gibt Wochen und Monate, in denen ich gar nicht zum Schreiben komme, beziehungsweise schreibe ich auch dann viel, aber eben nicht an meinem aktuellen Buchprojekt. Dann gibt es wieder Phasen, in denen einfach ganz viel „raus“ will. Ich habe schon immer geschrieben, als Jugendlicher vor allem Tagebuch und Songtexte, als junger Erwachsener dann – vom heutigen Standpunkt aus betrachtet extrem düstere und nihilistische – Novellen, im Studium auch philosophische Texte. Ich überlege, einige Rohfassungen, insbesondere einen Fantasyroman, an dem ich über 20 Jahre immer mal wieder geschrieben habe, zu überarbeiten und auch noch zu veröffentlichen, wobei ich im Moment an einer Art Fortsetzung von „Unter dem Heiligen Kreuz“ arbeite, einem Buch über den Mongolensturm und das Leben der Blanka von Kastilien.
Was bedeutet Ihnen das Schreiben?
Schreiben hatte für mich schon immer eine therapeutische Funktion. In der Jugendzeit habe ich den alterstypischen Weltschmerz und meine Unzufriedenheit mit den damaligen gesellschaftlichen Zuständen auf diese Weise bearbeitet.
Ob ich mich in eine ausgedachte Welt flüchte oder mal kurz ins Mittelalter verabschiede, Schreiben ist heute für mich das, was für viele andere das Lesen oder das Ansehen von Filmen und Serien ist. Raus aus dem Alltag, weg von den alltäglichen Problemen, einfach mal die Augen vor dem verschließen dürfen, was so alles Schlimmes in der Welt passiert.
Wollen Sie mit Ihrem Schreiben auch etwas erreichen?
Natürlich schreibe ich nicht nur für mich, sondern für meine Leser. Ich möchte ihnen einen anderen Zugang zur Geschichte eröffnen, als das Geschichtswerke und Dokumentationen können, ihnen Charaktere vorstellen, mit denen sie mitfiebern, mit denen sie sich identifizieren können. In meinen Augen ist das mehr als bloße Unterhaltung. Das gilt natürlich nicht nur für meinen Roman, sondern für jede gut erzählte Geschichte. Literatur ist nicht nur Unterhaltung, sondern ein hohes Kulturgut und das aus der Mode gekommene Lesen von Romanen, Theaterstücken und Gedichten ist eine kulturelle Grundfertigkeit.
Und was bedeutet Ihnen Geschichte?
Es gibt dieses Sprichwort, dass diejenigen, die nicht aus der Geschichte zu lernen vermögen, dazu verdammt sind, sie zu wiederholen. Vielleicht ist es zu optimistisch, die Geschichte als kollektiven Lernprozess der Menschheit zu deuten, vielleicht taumeln wir nur ziellos vor uns hin. Aber so wie Eltern auf der individuellen Ebene ihren Kindern ein gutes Leben ermöglichen wollen, sollten wir im Allgemeinen als Gesellschaft für unsere Nachfahren das Beste wollen. Es mag paradox klingen, aber das Studium der Geschichte richtet sich nicht in die Vergangenheit. Das ist nur ein notwendiger Umweg, weil die Zukunft, auf die es eigentlich ankommt, noch nicht geschrieben ist.
Gibt es historische Romane, die Sie beim Schreiben beflügeln?
Ich habe vorhin schon einige Werke genannt, die ich in der Jugendzeit gelesen habe. Im Moment lese ich kaum Romane, sondern eher historische Werke. Mich interessieren die Ereignisse, wie sie in den Quellen beschrieben werden. Das Drumherum entsteht dann von selbst. Dann entsteht zum Beispiel die mongolische Steppe bei Karakorum wie von selbst und ganz lebendig in meinem Kopf und Turakina Hatun, eine weitere Politikerin des Mittelalters, flüstert ihrem Gemahl Ugedei Khan, dem Sohn und Erben Dschingis Khans, ins Ohr, dass die Völker der Rus im tiefen Westen genauso wehrlos sind wie reich. Alles Weitere ergibt sich dann organisch, einerseits aus den historischen Quellen, andererseits aber eben auch aus dem literarischen „Set up.“ Diese Doppelung des Erzählens fasziniert mich am historischen Roman.
Was macht für Sie den Zauber von Literatur aus?
Das Schöne an der Literatur an sich ist, dass sie uns in ferne Welten entführt, dass wir beim Lesen viele Leben leben dürfen, Abenteuer erleben können, die wir „in echt“ niemals erleben würden. Es klingt vielleicht ein wenig klischeehaft, aber in dieser Hinsicht haben mich vor allem die Klassiker, insbesondere die Werke von Goethe und Schiller, gefesselt. Aber auch Caesars „de bello gallico“, das ja keine Fiktion, sondern ein knallharter Kriegsbericht ist, der Klassiker „Gone with the Wind“ und die Gothic Novels des 19. Jahrhunderts wie „Frankenstein“ und „Dracula“ haben mich beeinflusst.
Sie haben in Ihrem Buch auch Fotos verwendet. Was zeigen sie und woher haben Sie diese?
Das sind aktuelle Fotos der Burgruine Kerak, deren damaliger Burgherr Rainald von Chattilion war. Diese Bilder sind im Internet unter freier Lizenz verfügbar.
Bei historischen Romanen ist das Ende der „großen“ Geschichte ja meist bekannt. Trotzdem ist „Unter dem Heiligen Kreuz“ spannend geworden. Wie haben Sie das hinbekommen?
Das Witzige ist, dass wir ja vielleicht wissen, dass Jerusalem 1187 von Saladin erobert wurde, aber eben das Ende der persönlichen Geschichten nicht kennen. Was hat Saladin auf dem Sterbebett gefühlt? Was hat Al-Adil seinerseits seinem Sohn mitgegeben, bevor er verstarb? Hatte Johann Ohneland ein dramatisches Ende? Was tat Berengaria nach dem Tod von Richard Löwenherz? Basierend auf dem, was ich über die historischen Figuren herausfinden konnte, habe ich versucht ihre Reise irgendwie rund zu bekommen. Im echten Leben läuft es nicht immer wie in einem Roman, da passiert das Spannende nicht unbedingt zum Schluss. Also muss man auch mal was umarrangieren oder einfach ein paar Jahre weglassen, in denen nichts Interessantes passiert ist. Letztendlich gibt es so viel Stoff, so viele Quellen, so viel Ereignisse, die damals gleichzeitig passiert sind, dass man ohnehin eine Auswahl treffen muss, wenn das Buch nicht mehrere tausend Seiten lang werden soll.
Sie haben vorhin schon auf die Herausforderung hingewiesen, die das Schreiben eines historischen Romans mit sich bringt …
Ja, einerseits möchte man eine fesselnde Geschichte erzählen, die Figuren sollen sich entwickeln, wie Figuren in Romanen das eben tun, andererseits schreibt das Leben meist nicht so lineare Geschichten, wie wir sie in der Fiktion kennen.
Letztendlich geht es um Glaubwürdigkeit. Sind das Charaktere, deren Handeln der Leser nachvollziehen kann? Sind sie fremd genug in ihren Motiven und Absichten, um als „historisch akkurat“ durchzugehen und wirken doch vertraut genug, um sich mit ihnen identifizieren zu können? Verstehen wir ihre Träume und Hoffnungen ohne das Gefühl zu haben, uns würde nur ein Spiegel vorgehalten, wirken sie echt, eigenständig?
Was bedeutet es, dass der Leser sich „mit den Figuren identifiziert“?
Im besten Falle hat er genug Abstand zu ihnen, um sich nicht an ihre Stelle zu setzen, erlaubt ihnen ihre Fehler und Irrwege, folgt ihnen aber eng genug, um bei jeder Entscheidung verstehen zu können, warum sie genauso ausgefallen ist, wie es eben geschrieben wurde. Das ist die Kunst des Autors, glaubwürdige, lebendige Figuren zum Leben zu erwecken, die den Leser eine Zeit lang, so lange wie man das Buch liest, begleiten, mit denen er sich vergleichen, von denen er vielleicht sogar etwas lernen kann. Wenn mir das mit „Unter dem Heiligen Kreuz“ ansatzweise gelungen ist, würde mich das sehr freuen.
Der Inhalt von Gerald Hoffleits „Unter dem Heiligen Kreuz“ in Kürze:
Jerusalem, 1187 nach Christus: Al-Adil erobert die Heilige Stadt für seinen Bruder Saladin. Das christliche Abendland ist entsetzt. Kaiser Barbarossa und sein Sohn Friedrich geloben, einen neuen Kreuzzug anzuführen. Richard von England nimmt ebenfalls das Kreuz. Für Richards junge Braut, Berengaria von Navarra, wird diese Reise zu einer Reifeprüfung ganz eigener Art. Sie muss lernen, sich in einer von Männern dominierten Welt durchzusetzen. Kann es Frieden zwischen den Religionen geben oder wird der Dritte Kreuzzug noch grausamer werden als die vorherigen?
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