Zugegeben: Mein Thriller über einen traumatisierten Afghanistan-Heimkehrer, der einen Privatkrieg anzettelt mit einer Gangsterbande (und letztendlich auch mit sich selbst – Jim Thompson lässt grüßen), passte nicht wirklich in das Programm meines Verlags. Aber was soll’s. Ich habe das Exposé trotzdem eingereicht und eine Absage erhalten. Alles kein Beinbruch. Es war letztendlich nicht mehr als ein Versuchsballon gewesen.
Aber was ein Autor kann, kann ein Verlags-Lektor schon lange. Lukas Weidenbach, mein Lektor, startete nun seinerseits einen Versuchsballon: Ob ich denn schon mal daran gedacht hätte, einen klassischen Krimi mit einem Ermittler-Duo zu schreiben. Meine spontane Antwort:
Ermittler-Krimi? Ich? No! Never!
Um nicht falsch verstanden zu werden: nichts gegen Ermittler-Krimis. Es gibt unzählige großartige, fantastische, überraschende, hoch spannende nervenaufreibende Ermittler-Krimis als Roman wie auch als Film. Aber ich hatte noch nie daran gedacht, selbst einen Beitrag zu den (gefühlt) Trilliarden von Ermittler-Krimis beisteuern zu müssen.
Doch Lukas ließ nicht locker. Zum Glück!
Zum Glück haben wir auch den ähnlichen Krimi-Geschmack: Harte Thriller, Hard-boiled- und Noir-Krimis. Wir redeten über zynische, in sich gekehrte Ermittler, Ermittler, die Grenzen überschreiten, wir redeten auch über „Dexter“. Mein Lektor hat auch eine Schwäche für Splatter. (Kein Wunder, er kennt meine Serie „SMASH 99“, in der es z.T. schon recht heftig zur Sache geht.)
Also um es kurz zu machen: Er hatte mich nach einem ersten „Hm, lass mich mal überlegen“ an der Angel. Ein Krimi mit einem Ermittler-Duo, also gut.
Ach ja, meinte er noch: Was ich davon halte, wenn die Hauptperson eine Frau sei?
Eine Frau als Protagonistin? Okay. Gebongt. In der 4. Folge von „SMASH 99“ hatte ich eine Ich-Erzählerin als Heldin installiert. Was ich für mich damals als eine extrem große Herausforderung ansah. Aber meiner Frau (meiner Erst-Leserin) gefiel, was ich schrieb, meinen Lektoren gefiel es, und der Hörbuchsprecherin, Sabine Arnold gefiel es ebenfalls.
Nun also eine Ermittlerin. (Diesmal keine Ich-Erzählerin!) Jetzt fehlte halt noch das Pendant.
Gegensätze – Hauptsache: Gegensätze!
Ich mag Gegensätze. Ermittler, die miteinander harmonieren, sind zwar ganz sympathisch, können aber, vornehm ausgedrückt, mit der Zeit ein wenig langweilig werden. Wahrscheinlich gibt es deshalb auch so viele kauzige oder „verhaltensoriginelle“ Ermittler. Damit es nicht zu schnell zu eintönig wird. (Bei manchen Krimis finde ich persönlich die Spannungen zwischen den Ermittlern spannender als die zu lösenden Kriminalfälle selbst.)
Die Frage war jetzt nur: Wie groß sollen, wie groß können die Gegensätze sein? Wie weit kann ich gehen? Was würde der Verlag akzeptieren?
Ich stellte mir beinahe schon reflexartig zwei Ermittler vor, die nicht nur mit ihrer Unterschiedlichkeit kokettieren, nein, sie sollten vollkommen miteinander inkompatibel sein.
Konnte das funktionieren? Und wenn ja, wie?
Ich machte schließlich Lukas, meinem Lektor, ein Angebot über ein in seiner Gegensätzlichkeit sehr (!) extremes Ermittler-Duo, das er … natürlich auch ablehnen konnte. Was er letzten Endes nicht tat. Im Gegenteil: Ihm gefiel die Konzeption. Mehr noch: Er sezierte sie. Liebevoll. Detailliert. Er stellte genau die richtigen Fragen zu meinem „Dreamteam“. Zu ihrer Motivation und zu ihren Zielen. Zu ihren psychologischen Befindlichkeiten und Biografien. Sparte nicht mit konstruktiver Kritik. Klopfte jeden Punkt auf Plausibilität und Glaubwürdigkeit ab. Kurzum: Es gab für mich noch jede Menge zu tun. Zu überarbeiten. Zu justieren. Bis ich mit meinem Duo zufrieden war.
Mein „Dreamteam“
stellte sich anschließend folgendermaßen dar:
Eine Ermittlerin – ein Ermittler
Frau – Mann? Wow! Toller Gegensatz! Nicht gerade die Innovation schlechthin, aber guter Einstieg.
Eine Kommissarin – ein Verbrecher als Partner
Manche Hardboiled-Privatdektive haben ihre Buddys, die auf der anderen Seite des Gesetzes stehen, die ihnen als Sidekick bei ihrer Ermittlungsarbeit helfen und die die Drecksarbeit für sie erledigen. (Man denke an Robert B. Parkers Detektiv Spenser und seinen Kumpel Hawk. Oder an Lawrence Blocks Detektiv Scudder und den Gangsterboss Mick Ballou!)
Für mich stand schon von Vornherein fest: Wenn meine Protagonistin eine Kommissarin ist, muss ihr „Partner“ ein Verbrecher sein.
Nur – welche Art von Verbrecher sollte er sein? Trickbetrüger? Cyberkrimineller? Handtaschenräuber? Nein, er musste schon ein anderes Kaliber sein.
Ein Mörder!
Echt jetzt? Ein Mörder? Aber hallo!
Ich hatte das Bild eines Berufsverbrechers vor Augen, eines Gewaltverbrechers. Bekannt und berüchtigt dafür, dass er Leute professionell zusammenschlägt, niederknüppelt und der wegen Mordes für fünfzehn Jahre hinter Gefängnismauern verschwindet.
The Turn of the Screw
Dabei wollte ich es nicht bewenden lassen. War eine Steigerung noch möglich? Wie wäre es zum Beispiel, wenn der Mörder jemanden ermordet hat, der – jetzt mal kurz durchatmen – der Kommissarin nahe gestanden hat? Sehr nahe?
Beste Voraussetzungen für gutes Team-Work, oder?
Die Idee gefiel mir.
Doch hier verordnete ich mir einen
Realitätscheck.
Denn: Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Kriminalkommissarin mit so jemandem zusammenarbeitet oder, besser gesagt, zusammenarbeiten muss oder will?
Hand aufs Herz: nicht sonderlich wahrscheinlich.
Es sei denn …
Sie. Hat. Keine. Andere. Wahl.
Anders ausgedrückt: Sie steckt in einer Situation, in der es niemanden außer diesem einen Mann, diesem Mörder, gibt, der ihr helfen kann!
Spätestens jetzt stellte sich für mich die Frage, vielleicht die wichtigste Frage überhaupt:
Wer ist meine Protagonistin?
Was will sie? Welche Motivation hat sie? Welche Ziele verfolgt sie? Und warum?
Werden wir also persönlich. Name: Laura Stein. Ihre Mutter: eine Prostituierte. Der Vater: unbekannt. Miese Kindheit. Extreme Missbrauchserfahrungen in ihrer Jugend. Die Verantwortlichen sind nie zur Rechenschaft gezogen worden – was sie nie akzeptieren wird und kann. Verbrecher müssen bestraft werden – das ist ihr Credo. Deshalb ist sie auch zur Polizei gegangen. Später zum LKA. Ist dort zu einer ehrgeizigen, verbissenen und, ja, auch besessenen Ermittlerin geworden.
Starke Protagonisten brauchen starke Antagonisten. Doch:
Wer ist ihr Antagonist, ihr Gegner?
Ich positionierte ihr gegenüber einen ebenso mächtigen wie skrupellosen Gangsterboss. Name: Victor Hansen. Chef einer Rockerbande, Besitzer von Bordellen und Spielhöllen. Menschenhändler bestens vernetzt mit Politik, Wirtschaft, Justiz. Im Zuge der Bekämpfung der organisierten Kriminalität ermittelt Laura seit Jahren gegen ihn und kriegt ihn nicht zu fassen. Zeugen ziehen ihre Aussagen zurück, Zeugen verschwinden oder verüben kurz vor ihrer Aussage spontan »Selbstmord«. Niemand außer ihr will sich mit ihm anlegen. Ihre Ermittlungen stehen kurz vor dem Aus.
Ihr Verbündeter?
Hier kommt jetzt der Mörder ins Spiel: Wolf Berger. Frisch aus der Haft entlassen. Hansens frühere rechte Hand – und Knochenbrecher. Einer, der sich jetzt nach fünfzehn Jahren nett und charmant gibt und mit seiner kriminellen Vergangenheit abgeschlossen hat. Scheinbar. Der aber – so weiß Laura – noch etliche offene Rechnungen zu begleichen hat. Unter anderem mit seinem alten Freund Victor Hansen …
Für Laura heißt das: Wolf Berger ist ihre große, aber auch letzte Chance, an Victor Hansen ranzukommen.
Nein, das ist nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft
Die beiden werden nie ein Sherlock-Holmes-Dr.-Watson-Verhältnis zueinander unterhalten, auch keine launig-professionelle Partnerschaft, wie man sie von vielen „Tatort“-Kommissare kennt. Sie sind einfach zu unterschiedlich … zu gegensätzlich … zu konträr.
Aber: Sie brauchen einander. Auf Gedeih und Verderben. Ohne den jeweils anderen werden sie ihr Ziel nie erreichen können, werden sie scheitern.
Apropos Ziele …
Klar: Victor Hansen das Handwerk zu legen bzw. mit ihm abzurechnen – das ist ihr großes, gemeinsames Ziel. Darum geht’s in der Geschichte. Vom Krimi-Gesichtspunkt aus gesehen. Aber in den sechs Folgen dieser – im wahrsten Sinne des Wortes – Hardboiled-Gangster-Ermittler-Duo-Krimiserie geht es noch um mehr. Es geht auch um die Geschichte von Laura Stein und Wolf Berger. Wie sie langsam zueinanderfinden, wie sie nach und nach ihre gemeinsame, vorsichtig formuliert, schwer belastete Vergangenheit aufarbeiten, und – wie sie lernen, sich zu vertrauen.
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