Was, wenn man plötzlich einen echten Astronaut im All am Hörer hat?
Gladys Ormerod geht auf die 71 zu und lebt zusammen mit ihrem zehnjährigen Enkel James und ihrer 15-jährigen Enkelin Ellie, nachdem deren Mutter verstorben und ihr Vater durch eine Verkettung unglücklicher Umstände im Gefängnis gelandet ist. Eigentlich soll Gladys in der Zwischenzeit die Aufsicht über die Kinder übernehmen, doch in Wahrheit ist es Teenager Ellie, der die Familienbande zusammenhält. Denn Gladys Verstand spielt ihr in der jüngeren Vergangenheit immer öfter Streiche. Als Gladys dann davon spricht, dass sie mit Major Tom im All telefoniert hat, halten die Enkelkinder das für ein weiteres Anzeichen ihrer fortschreitenden Demenz. Aber auch nur so lange, bis sie den Major selbst an der Strippe haben!
David M. Barnetts Held mag Menschen nicht – aber er ändert sich
Major Tom, der eigentlich Thomas Major heißt, ist mit seinem Raumschiff auf dem Weg zum Mars, um dort als erster Mensch den Boden für die geplante Kolonialisierung zu bereiten. Thomas ist ein Misanthrop nach Lehrbuch, und auch wenn es eigentlich der Zufall war, der ihn in dieses Raumschiff brachte, nutzt die British Space Agency, kurz BriSpA, seine Namensähnlichkeit mit dem bekannten Lied von David Bowie, um kräftig die PR-Trommel zu rühren. Eigentlich wollte Thomas nichts anderes, als endlich seine Ruhe zu haben: Ist man im All nicht wunderbar weit weg von allem, einem an der Erde und ihren Bewohnern auf die Nerven geht? Entsprechend wenig nimmt David M. Barnetts Held seine Mission ernst. Allerdings ändert sich dies im Laufe der Geschichte: Major Tom entdeckt den Sinn von Leben und sozialen Kontakten durch die telefonische Bekanntschaft mit Gladys und ihrer verschrobenen Familie aufs Neue für sich.
Die Familie steht vor der Pleite – sie müssen den Wettbewerb gewinnen
Gladys, James und Ellie hingegen haben sehr viel konkretere Probleme: Weil die alte Dame die Briefe der Wohnungsgenossenschaft zu lange ignoriert hat, soll sie in drei Wochen aus der Wohnung befördert werden, sofern es ihr und den Enkelkindern nicht gelingt, 5.000 Pfund aufzutreiben. Doch Ellie ist bereits mit drei (gesetzwidrigen) Jobs ziemlich ausgelastet, die die Familie gerade so über Wasser halten. Durch einen Trickbetrug wurde die Familie um alle Ersparnisse gebracht. Zur Polizei kann das Trio aber nicht, darf doch niemand um Gladys Zustand und ihre Unfähigkeit sich um die beiden Kinder zu kümmern wissen. Einziger Lichtblick ist ein Wissenschaftswettbewerb, zu dem Freak James eingeladen wurde. Das Preisgeld beträgt genau 5.000 Pfund. So schnell wie möglich muss ein Projektentwurf her, der alle anderen Einreichungen in den Schatten stellt. Und wer könnte da besser helfen, als Gladys‘ Telefonfreund Major Tom?
David M. Barnett geht den Ernst des Lebens mit einem offensivem Lächeln an
Man muss es ganz deutlich formulieren: David M. Barnett liefert mit „Miss Gladys und ihr Astronaut“ ein literarisches Goldstück der Extraklasse. In humorvoller und doch wertvolle Sprache eröffnet er uns die entrückte Gedankenwelt seiner vier schrägen Helden. Man kann nicht anders, als Major Tom, Gladys und die beiden Enkel unweigerlich ins Herz zu schließen. Unterhaltsam erzählend streift der Autor viele, lebenswichtige Themen – von der Altersdemenz über Misanthropie bis hin zum richtigen Umgang mit Schicksalsschlägen. Die große Kunst dabei ist, dass es ihm gelingt zu berühren, ohne auch nur einmal auf die Tränendrüse zu drücken. David M. Barnett geht den Ernst des Lebens mit einem offensiven Lächeln auf den Lippen an und das, ohne seine existenzielle Größe aus den Augen zu verlieren. Am Ende stehen wir vor einem sehr einfühlsamen und kurzweiligen Roman, dessen Protagonisten unbeschreiblich herzlich und lustig sind. „Miss Gladys und ihr Astronaut“ ist tatsächlich eines dieser Bücher, bei denen man denkt, die Figuren würden gleich aus den Seiten spazieren. Begleitend zur Lektüre empfiehlt es sich, mal wieder David Bowies Song „Space Oddity“ anzuhören. Die entscheidende Textzeile lautet: „Ground Control to Major Tom.“