Arbeitslos geworden, bewirbt sich die Fotografin Maite als Nanny
„Je näher das Wachhäuschen kam, desto unsicherer wurde ich. Die Zufahrt war durch eine Schranke versperrt, um das Gelände verlief eine hohe Steinmauer, an der mehrere Überwachungskameras im Abstand weniger Meter voneinander angebracht worden waren. Der Eingang zum Gefangenenlager Guantanamo dürfte nicht viel anders aussehen.“ Eigentlich ist Maite Fotografin. Doch zuletzt hat sie eine Pechsträhne ereilt: Mann weg, Erfolg weg, Fotostudio weg. Maite lebt wieder bei ihren Eltern und braucht einen Job. Als sie von der Stelle als Nanny zweier Kinder von Superreichen erfährt, ist sie wenig begeistert. Aber hat sie denn eine Wahl?
Maites neuer Chef lebt in einem Traumhaus mit Swimming-Pool
Die betagte Isabel, die sich bislang um die beiden Kinder kümmerte, erklärt ihr die Hintergründe der Familiengeschichte ihres zukünftigen Arbeitgebers: Die Indianos waren Auswanderer, die in der Neuen Welt zu Reichtum gelangt waren. Der Urgroßvater „des jungen Herrn Mario“, so nennt ihn Isabel, „machte ein Vermögen mit einer Eisenbahngesellschaft in Kuba. Als Anerkennung für seine Spenden an die Spanische Krone bekam er den Adelstitel ‚Marquis von Sagrilla und Vistahermosa‘ verliehen.“ Mario arbeitet als Filmproduzent, obwohl er von seinem Erbe leben könnte. Sein teures Haus ist wunderschön. Seine Kinder Sofía und Bruno sind neun und sieben. Ihre Mutter starb vor eineinhalb Jahren an Krebs. Seitdem geht es Mario schlecht. Als Maite fragt, wie Mario so ist, antwortet Isabel: „Wenn du Glück hast und es dir gelingt, zu ihm durchzudringen, ist er ein Schatz.“
Der Gärtner – nie zuvor hatte sie einen Mann so sexy gefunden
Maite wird eingestellt, ohne den Vater der Kinder kennengelernt zu haben. Auch an den ersten Tagen an ihrer neuen Arbeitsstelle lässt er sich nicht blicken. Maite hadert mit der Bockigkeit der Kinder. Doch dann sieht sie den Gärtner auf dem Grundstück: „Eine Weile blieb er nachdenklich stehen und kehrte mir dann den Rücken zu, um in gebeugter Haltung die Hecke weiterzuschneiden, was sich als außergewöhnliche und äußerst ansehnliche Choreografie von Trapezmuskeln, Deltamuskeln, Schlüsselbeinen und Schulterblättern entpuppte, die sich unter dem dünnen Baumwollstoff abzeichneten und mir den Atem raubten. Nie zuvor hatte ich einen Mann so sexy gefunden.“
Sie ertappt ihn bei einer eindeutigen Grenzüberschreitung
Allerdings scheint der Gärtner sich selbst zu überschätzen, denn am selben Tag ertappt ihn Maite dabei, wie er bei lauter Musik im Pool des Hauses schwimmt. Welchen Eindruck würde Mario gewinnen, wenn er bei seinem Eintreffen feststellte, dass das neue Kindermädchen sein Eigentum nicht beschützte? Empört steuert Maite auf den Pool zu, macht die Musik aus und fragt: „Hey, soll ich dir ein Bierchen bringen?“ Verwundert runzelt der junge Mann die Stirn. „Darfst du den Pool überhaupt benutzen?“ Der Gärtner erwidert: „Das nehme ich doch an.
Von Reue keine Spur – was bildet sich Marios Gärtner ein?
„Ich versuchte, trotz seiner Provokation standhaft zu bleiben, was mir ziemlich schwerfiel angesichts seines tropfnassen, glänzenden Oberkörpers. ‚Tu mir bitte den Gefallen, komm da raus und heb das alles auf.‘“ Maite zeigt auf die Beutel, die Blumentöpfe und die verstreute Erde ringsum, mit denen der Gärtner vor seinem Bad offensichtlich gearbeitet hat. „Was denkst du dir denn? Dass du einfach baden kannst, wenn niemand hier ist?“ Der junge Mann steigt aus dem Pool, greift nach einem Handtuch, das auf einem Liegestuhl liegt, und schreitet auf Maite zu, während er sich den Nacken abtrocknet. Von Reue keine Spur. Als er vor ihr steht, macht er den Mund auf, um etwas zu sagen, doch die Rufe der Kinder kommen ihm zuvor: „Papa! Papa!“
Wird Maite die Wunden dieser versehrten Familie heilen können?
Diese kleine Szene zeigt, wie gut sich Paloma Aínsa darauf versteht, ihre Leser*innen zu überraschen. Doch geht das Leben selten den kürzesten Weg und auf Maite warten noch viele schwierige Situationen. Zwar darf sie in einem traumhaften Anwesen leben, aber es vergeht kaum ein Moment, in dem sie sich nicht wie ein Fremdkörper in einer von Verlust geprägten Familie fühlt. Auch erschüttern Marios Gefühlsausbrüche immer wieder die angespannte Atmosphäre. Wird Maite als Nanny ihr Glück dennoch finden? Wird sie die Wunden, die der Verlust dieser Familie zugefügt hat, verheilen lassen können? Am Ende wird entscheidend sein, was auch der Titel dieses flüssig geschriebenen Romans verspricht: „Der kleine Unterschied“.
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