
Ein Kind stirbt im Wasser
Mit heller, beinahe zerbrechlich wirkender Stimme beginnt Saskia Haisch das Hörbuch und startet mit der Erzählung eines schwimmenden Kindes. „Der Mann“ beobachtet es dabei, wie es von einem Ufer zum weit abgelegenen anderen Ufer schwimmen soll. Er sitzt dabei im Kanu und spornt es an. Das Kind gibt sich alle Mühe, die andere Uferseite zu erreichen, so, wie es der Mann möchte.
Als es eine Bootshupe hört, schwimmt es darauf zu, um gerettet zu werden – vor dem Mann, der es in einem Baumhaus wohnen lässt. Doch als das Kind bemerkt, dass das vermeintliche Boot ein riesiges Schiff ist, ist es bereits zu spät. Der Sog zieht es unter Wasser, und hilflos erliegt es den Wassermassen.
Rosa, die forensische Wissenschaftlerin ohne Anerkennung
Wie alle Protagonisten dieses Hörbuches wird auch Rosa aus der Ich-Perspektive gelesen. Christiane Marx leiht ihr ihre Stimme, und es gelingt ihr, die Zerbrechlichkeit, aber auch den Eigensinn Rosas überzeugend zu vertonen.
Rosa war aus ihrer schwedischen Heimat nach Amsterdam gezogen und ist nur zurück, weil ihr Bruder Ebbe nach einem Kletterunfall Tetraplegiker ist und sie ihren Vater bei der Pflege unterstützt. In ihrer Kindheit hatte sie nichts zu Lachen. Ebbe hat sie regelmäßig gequält, und von ihren Eltern bekam sie keinen Zuspruch, sondern war für sie immer „die Sonderbare“. Dabei ist Rosa nur schon immer sehr ordentlich und zeigte bereits früh Interesse am Vergänglichen und am Tod.
Mittlerweile ist sie forensische Wissenschaftlerin, die mangels Zulassung heimlich in der Natur Tierkadaver ausgräbt, um die Auswirkungen verwesender Tiere auf das Gedeihen der umliegenden Bäume zu beobachten und zu beschreiben. Dass es allerdings heute ein Kinderskelett ist, das sie ausgräbt, bringt sie in eine schwierige Lage.
Ein Kinderbuchautor mit blühender Fantasie
Wenn Oliver Rohrbeck anfängt, die Geschichte aus der Sicht des Familienvaters und Kinderbuchautors Henrik vorzulesen, wird der ein oder andere Zuhörer an die Hörspiele der eigenen Kindheit erinnert, in denen Rohrbeck Justus Jonas (Drei ???) oder auch Julian Kirrin (Fünf Freunde) seine Stimme lieh.
Auch den fantasiereichen Henrik, der als Kind jeden Sommer bei seinem Opa in Schweden verbracht hat, setzt Rohrbeck gekonnt in Szene. Wenn er die Selbstzweifel und die Angst vertont, die Henrik nach dem Verschwinden seines fünfjährigen Sohnes Finn hat, beschleunigt sich der eigene Puls. Man will unbedingt mit ihm gemeinsam nach Finn suchen. Ob der etwas schräge Nachbar Olof etwas damit zu tun hat? Ob er Finn entführte? Oder war es vielleicht der merkwürdige Mann vom Supermarkt, der ihn aus purer Schadenfreude eingeparkt hatte?
Eine Ehefrau mit einem gefährlichen Geheimnis
Henriks Ehefrau Nora war sofort Feuer und Flamme, als sie von dem Sommerhaus von Henriks Opa in Schweden erfuhr. Endlich raus aus Greifswald und weg von Eric Bleike, mit dem sie sich dummerweise auf eine Affäre eingelassen hatte. Jetzt stalkt und bedroht er sie regelmäßig. Bisher hat sie allerdings der Polizei noch nichts von ihm erzählt, aus Angst, dass sie Henrik verlieren könnte. Als ihr Sohn Finn im Wald verschwindet, fürchtet sie, dass Bleike ihn entführt hat, und packt aus. Doch die Polizei scheint ihre Befürchtungen nicht ernst zu nehmen.
Laura Maire hat genau die richtige Stimmfarbe für die in ihrer Selbstsicherheit erschütterte Nora. Sie legt sowohl in den lauten als auch in den leisen Tönen eine gute Performance ab.
Ein Mädchen lebt im Walde ganz still und leis‘
Marla ist ein fünfjähriges Mädchen, das im Wald in einem Baumhaus lebt, angeleint mit einem Strick, „gerettet“ von „dem Mann“, der sie regelmäßig zu Spielen mitnimmt. Leonie Landas kindliche Stimmlage ist eine ideale Besetzung für die kleine Marla, die voller Angst vor dem, was dem Mann wieder einfallen könnte, dennoch Tag für Tag auf ihn wartet. Immerhin ist er derjenige, der ihr das Essen bringt und ihren Nachttopf leert.
Er bringt Marla das Jagen bei und wie man im Wald überlebt. Die Spiele, die er dabei mit ihr macht, gefallen ihr nicht. Es sind Überlebenstrainings, die ihr viel abverlangen. Doch sie muss die Angst überwinden, um zu überleben.
Eines Tages kommt ein Junge die Strickleiter herauf und findet sie. Zuerst glaubt sie, er wäre einer von den Feinden, von denen der Mann immer erzählt, doch dann verspricht der Junge, dass er Hilfe holen wird.
Und plötzlich ist Marla ganz allein: Weder der Junge noch der Mann kommen zurück. Ihr Hunger wird von Tag zu Tag größer, doch den Strick bekommt sie einfach nicht auf. Ob dies ihre letzten Stunden sein werden? Wird einer von beiden zurückkommen? Und was passiert, wenn es so ist?
Ein wahrer Hörgenuss mit reichlich Spannung
Das Hörbuch ist sehr facettenreich und vielschichtig. Man weiß am Anfang nicht so genau, wie die ganzen Menschenleben miteinander verflochten sind, aber mit jedem Kapitel wird es deutlicher, und man hat Aha-Erlebnisse. Dennoch kommt es vor der Auflösung zu einem Twist, den man kaum erwartet hat.
Das große Aufgebot der tollen Sprecher sorgt dafür, dass man zu jeder Zeit genau weiß, wer gerade seinen Teil der Geschichte erzählt, und alle fünf Sprecher schaffen es, das Hörbuch zu einem wahren Hörgenuss zu machen, der noch lange nachhallt.
„Das Baumhaus“ ist ein Hörbuch mit vielen verschiedenen Sprechern. Welcher Sprecher hat euch am besten gefallen? Schreibt es in die Kommentare!