Die Zahl der Menschen, die morgens jubelnd in die Arbeit hopsen, ist nämlich zu klein. Meinen akribischen Recherchen bei Spiegel Online und Zeit Online zufolge sind es je nach Umfrage nur rund 16 bis 17 Prozent der Deutschen, die morgens fröhlich pfeifend das Haus verlassen, um sich den ganzen Tag von einem Computerbildschirm observieren zu lassen oder Menschen die Haare vom Kopf zu schneiden, um jetzt nur mal zwei häufige Berufsbilder vor unser inneres Auge downzuloaden.
Fakt ist, dass wir diese Arbeitsunlust nur mithilfe der Liebe in den Griff bekommen. Nun fragen Sie zurecht: Wie das? Spinnt der? Warum Liebe? Ganz einfach, liebe Lesefreunde: Ich habe in den Tiefen meiner Erinnerung gegraben und mir überlegt, wieso ich als Teenager eigentlich ganz gerne in die Schule gegangen bin. Nein, es lag nicht daran, dass man mich dort in die Geheimnisse der Primzahlen, der Schwerkraft oder der unregelmäßigen Verben eingeweiht hat. Es lag nicht an den Sprüngen über den Kasten oder daran, dass wir im Musikunterricht mal Nenas Song „Leuchtturm“ nachgespielt haben; und auch nicht daran, dass wir das Schuhplatteln erlernten oder Goethes „Zauberlehrling“ auswendig lernten. Ich hasse es übrigens bis heute, etwas auswendig zu lernen.
Nein, meine Begeisterung für die Schule wurzelte in der Liebe.
Wenn ich zurückblicke, war ich praktisch mein ganzes Schulleben in tolle Mädchen verliebt. Es begann mit der rothaarigen Andrea in der 3. Klasse, setzte sich mit der blonden, sommersprossigen Angelika in der 5. Klasse fort über Iris mit den zauberhaften Zöpfen bis hin zu Petra mit den langen Beinen in Seidenstrumpfhosen, Susi, der Turnerin, Alexandra, der Tennisrocket, Christine, der Knutschweltmeisterin, Ulrike, der Schlampe, Anja, der Coolen und der nach Vanille duftenden Meike. Natürlich wussten die meisten von meiner Liebe nichts, weil ich ein schüchterner, viel zu kleiner Junge für solch tolle Mädels war. Aber von vorn:
Die Liebe ließ mich auch an finstersten Schultagen und zu Zeiten schrecklichster Pubertätsmüdigkeit aufstehen, mich cool (!) anziehen und aus dem Haus schreiten. Allein die potentielle Möglichkeit, dass ich – bei idealem Timing – zeitgleich mit Susi an der Kreuzung vom Fliesengeschäft ankommen würde, ließ mich jeden Widerwillen gegen den bevorstehenden, langen Schultag verdrängen. Natürlich klappte dieses Timing nicht immer; oftmals selbst dann nicht, wenn ich hinter dem Fliederbusch am Ende unserer Straße vor zur Kreuzung linste, um zu sehen, ob die leckere Susi vielleicht schon angelaufen kam. Aber es klappte oft und dieses hieraus resultierende, morgendliche Herzklopfen trug mich durch den Schultag.
Noch besser war es natürlich, in ein Mädchen aus der eigenen Klasse verknallt zu sein. Denn dann hatte ich einen guten Grund, mich den Vormittag über am Unterricht zu beteiligen, indem ich aufsehenerregende Wortspiele und unerhört lustige Kommentare zu Chemieversuchen, die ich nicht kapierte, zum Besten gab.
Diese vielen, wunderschönen Verknalltheiten ließen mich doofe Lehrer, schlechte Noten und andere Niederlagen erdulden. Ja, sie trugen mich durch die Schuljahre. Zwar traute ich mich fast nie, einer der Auserwählten, meine Liebe zu gestehen (einmal schenkte ich Iris einen Herzradiergummi, aber das war ein Fehler), doch glauben Sie mir: Auch das heimliche, einseitige Lieben kann Kraft spenden.
Und was ist heute? Wer zu den 90 Prozent der Deutschen zählt, die glücklich in ihrer Beziehung sind, muss sich – oftmals im Grauen des Morgens – von seiner Liebsten oder seinem Liebsten losreißen, um den ganzen Tag mit Leuten zu verbringen, von denen man sich einen Gutteil nicht mal auf eine Tasse Tee treffen würde. Kein klopfendes Herz trägt einen durch den Tag, sondern nur die Hoffnung, am Abend nicht zu müde zu sein für ein nettes Gespräch mit der Person, für die man alles tun würde.
Wenn die Arbeitgeber, die Bundesregierung, die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer und der katholische Frauenbund sich ernsthaft wünschen, dass aus den erbärmlichen 16 Prozent, die gerne zur Arbeit gehen, mehr werden, dann müssen Möglichkeiten wie Home Office & Co. gefördert werden. Wir brauchen mehr Liebe am Arbeitsplatz, Leserinnen und Leser! Liebe zwischen Mann und Frau, Liebe zwischen Frau und Frau und Liebe zwischen Mann und Mann. Hauptsache Liebe.
P.S.: Ich selbst, der ich an meinem einsamen Kolumnistenarbeitsplatz nicht einmal einen Tee mit Leuten trinken kann, die ich nicht mag, freue mich übrigens außerordentlich über jedes Zeichen der Liebe, das eine Leserin oder ein Leser auf meiner Facebook-Seite www.facebook.com/steinleitner hinterlässt. Man merkt das vielleicht nicht immer, aber: Ich hab euch alle lieb.