Wenn es einen Künstler gibt, der seinem Namen im weltumspannenden Netz unwidersprochen ein „.com“ anfügen darf, dann Jean-Thomas „Tomi“ Ungerer:
Die Welt des französischen Schriftstellers kennt keine Grenzen. Seine Arbeiten hingegen beziehen ihren Reiz oft aus Grenzüberschreitungen. „Keiner hat die Kinderbuchtabus so zerschmettert wie ich“, sagt der Grafiker, Zeichner, Designer, Schriftsteller und Illustrator, dessen facettenreiches Werk und Biografie rund 140 Titel umfassen, und vom beliebten Klassiker für Kinder wie „Die drei Räuber“ bis zum kontroversen Werk für Erwachsene reicht.
Seit fast sechs Jahrzehnten ist Tomi Ungerer künstlerisch auf so vielen unterschiedlichen Pfaden unterwegs, dass er sich herkömmlichen Kategorien schlichtweg entzieht. Eine passende Schublade, in die man den am 28. November 1931 in Straßburg Geborenen stecken könnte, gibt es nicht. Warum auch? Gäbe es eine, dann hätte der französische Schriftsteller sie zuvor entworfen, beschrieben, gezeichnet, gebaut und fotografiert. Für Kinder und Erwachsene wären Bilderbücher, sowie eine von Ungerer entworfene Werbekampagne über die Schublade entstanden. Und natürlich ein Plakat. Nur reinsetzen würde er sich nicht. Denn für Tomi Ungerer, seine Biografie und sein Werk gilt, was er in den Sixties dem alternativen New Yorker Wochenmagazin Village Voice als Slogan auf den publizistischen Großstadtleib getextet hatte: „Expect the Unexpected.“ Kein Wunder, dass man dem französischen Schriftsteller bereits zu Lebzeiten ein eigenes Museum eingerichtet hat. Das Musée Tomi Ungerer hat seinen festen Platz in der Straßburger Innenstadt, fesselt mit rund 10.000 Exponaten und bietet viele überraschende Perspektiven auf seine Biografie.
Was für eine Biografie! „Erwarte das Unerwartete“ ist Tomi Ungerers Lebensmotto
Von 1939 bis 1948 ist der junge Jean-Thomas emotional, aber auch sprachlich hin- und hergeworfen zwischen seiner elsässischen Heimat, Frankreich, der Nazi-Okkupation und amerikanischen Besatzungssoldaten: Tomi wächst mit Französisch, Deutsch und Englisch auf. „Das ist für mich mein größter Luxus im Leben“, wird er später sagen, „dass ich in drei Sprachen schreiben kann.“ Er probiert vieles aus und bricht vieles ab. Bis er 1956 mit 60 Dollar und ein paar Zeichnungen in der Tasche in New York landet.
Tomi Ungerers „Die drei Räuber“ ist eines der beliebtesten Kinderbücher überhaupt
Gleich das erste Kinderbuch des französischen Schriftstellers wird ein Bestseller. Es folgen Klassiker wie „Die drei Räuber“ und „Der Mondmann“, Kinoplakate für Stanley Kubrick, Werbekampagnen, Arbeiten gegen den Vietnamkrieg. Seine Werke kommentieren jetzt zunehmend die Umwälzungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Bilderbücher für Erwachsene prangern Sexismus, Potenzwahn und Gier in den USA an. Er stößt auf Kritik im prüden Amerika, wird vom FBI überwacht, heiratet, wird Farmer in Kanada, geht mit der Familie nach Irland und nach Straßburg, malt, zeichnet, schreibt. „Die drei Räuber“ wird 2007 sogar verfilmt.
„Ich bin ein Aufzeichner. Ich zeichne, was ich aufschreibe, und ich schreibe auf, was ich zeichne.“ Er wird nicht müde, dieser Tomi Ungerer, er wird er 85. Eben erst veröffentlichte er sein fabelhaftes „Warum bin ich nicht du?“ Darin beantwortet er auf gewohnt provokante Weise und oftmals zum Lachen lustig philosophische Kinderfragen. Ein Buch für Kinder und für Erwachsene, über das Leben und seine komische Philosophie. Ein Grund mehr, über das Dasein nachzudenken. Und wer ein zeitlos schönes Bilderbuch für kleinere Kinder braucht, der liegt mit „Die drei Räuber“ genau richtig.
Das Musée Tomi Ungerer erlaubt viele private Blicke auf Werk und Biografie des französischen Schriftstellers
Allen, die Tomi Ungerer ganz persönlich begegnen wollen, ist ein Besuch des Musée Tomi Ungerer zu empfehlen. Das Museum zeigt dank einer Schenkung des Künstlers nicht nur 7000 Zeichnungen, 2000 Plakate und andere grafische Stücke, sondern erlaubt auch Blicke in sein privates Archiv, auf viele persönliche Fotos, auf Buchcover wie etwa von „Die drei Räuber“. Tomi Ungerers Spielzeugsammlung macht den Besuch des Museums auch für Kinder spannend.