Ein zerrissenes Foto lässt für Ruth eine Welt zusammenbrechen
Ist es harmlose Neugier, eine nebulöse Ahnung, einfach Zufall oder schlicht Schicksal? Diese Fragen stellt sich Ildikó von Kürthys Heldin Ruth, 51 Jahre jung und Ehefrau eines bekannten Schauspielers, wenn sie auf den entscheidenden Moment zurückblickt: Sie fischt die vier Fetzen des zerrissenen Fotos aus dem Abfall. Sie setzt das Bild langsam und ehrfürchtig zusammen. Es ist die reine Neugier, die sie treibt. Ruth ahnt nicht, was jetzt kommt.
Was ist damals am Abend ihrer Hochzeit wirklich geschehen?
„Eine Zehntelsekunde später entgleitet mir mein Leben. Ich starre auf das Foto, kehre mir die einzelnen Teile wie Brotbrösel in die Handfläche und haste los wie von Sinnen. Aus dem Geschäft, durch die Fußgängerzone, über die Isarbrücke bis zu meinem Parkplatz.“ Was ist damals am Abend ihrer Hochzeit wirklich geschehen? Ist ihre Schwester eine Verräterin, oder ihr Mann nicht der, der er zu sein vorgibt? Ruth wirft ihre Handtasche und das zerrissene Foto auf den Beifahrersitz.
Der Verrat wirft die entscheidende Frage auf: loslassen oder festhalten?
Das zerrissene Foto bringt die Wahrheit ans Licht. Es ist die Momentaufnahme eines Verrats, der vier Schicksale miteinander verbindet, sie zusammenführt und mit den unbequemen Fragen der Lebensmitte konfrontiert: loslassen oder festhalten? Wer bin ich, wenn ich niemandem mehr gefallen will, und wo will ich hin, wenn ich mir von niemandem mehr sagen lasse, wo es langgeht?
Ruth erkennt das Verbrechen, das ihr Leben bestimmt hat
Ruth flieht mit dem Foto in die alte Villa der Großeltern. Dort trifft sie nach Jahren des Schweigens auf ihre Schwester und erkennt das Verbrechen, das ihr Leben bestimmt hat. Ruth schließt Rudi in ihr Herz, der sich im ersten Stock mit sanftmütiger Tapferkeit auf seinen Tod vorbereitet, aber vorher noch ein letztes Mal für Ordnung sorgen will.
Ildikó von Kürthys Heldin flieht in die Familienvilla – und einiges geht zu Bruch
Sie begegnet Erdal, der unter Wechseljahresbeschwerden leidet und aus Versehen eine folgenschwere Entscheidung trifft, als er seine Cousine in die Villa einlädt. In schneller Abfolge gehen eine Nase und etliche Illusionen zu Bruch. Ruth tritt aus dem Schatten ihrer Vergangenheit. Und das Ende ist eigentlich erst der Anfang.
„Morgen kann kommen“ erzählt von einer Frau, die ein Wagnis eingeht
Die Schauspielerin Maria Furtwängler feiert Ildikó von Kürthys Roman als „Befreiungsschlag“. Und diese Charakterisierung trifft ins Herz, denn wir begegnen in „Morgen kann kommen“ einer Frau, die – schwer getroffen – eine radikale Entscheidung trifft. Eine Entscheidung für sich, für die Freiheit und die Eigenständigkeit. Wie warmherzig und lebensbejahend Ildikó von Kürthy dies alles erzählt und wie realistisch sie dabei ihre Figuren gestaltet, das ist große Klasse. Und die übers Buch verteilten Illustrationen sind übrigens auch eine Augenweide.