Ian McEwans „Maschinen wie ich“ macht einen mitunter schwindelig
Eine der Hauptfiguren von Ian McEwans Roman „Maschinen wie ich“ ist der Androide Adam. Hört sich das für Sie unglaubwürdig und ein wenig nach Science Fiction an? Dann irren Sie. Ian McEwan gelingt eine Geschichte, die so unglaublich wirklichkeitsnah ist, dass einen mitunter schwindelt.
Der Androide sieht hochintelligent aus, er weiß alles, er ist perfekt
Adam ist der perfekte künstliche Mann. Einer von zwölf Prototypen, die es weltweit gibt. Seine Haut ist lebensecht, seine leicht gekrümmte Nase lässt ihn hochintelligent wirken, sein Blick kann grüblerisch aussehen und er weiß dank seiner digitalen Verbindung zu und mit allem, was es auf der Welt gibt, praktisch alles. Charlie, ein studierter Steuerjurist und Aktienspekulant, Anfang dreißig, hat ihn sich bestellt und liefern lassen.
Charlie und die 22-jährige Studentin Miranda sind seit kurzem ein Paar
Eigentlich hätte Charlie lieber eine Androidin gehabt, aber die waren sofort vergriffen, viele davon sind in den arabischen Raum gegangen. So investiert der sympathisch unehrgeizige Lebenskünstler, der schon immer von Technologie fasziniert war, 86.000 Pfund aus seiner Erbschaft und kauft sich Adam. Beim Auspacken des künstlichen Menschen hilft ihm Miranda. Sie ist die zehn Jahre jüngere Studentin, die über ihm wohnt, und die beiden sind seit kurzem so etwas wie ein Paar.
Der Mensch bestimmt die Persönlichkeitsmerkmale seines Androiden
Der Androide hat im Lieferzustand keine Persönlichkeit. Sein Besitzer darf sie ihm sozusagen einhauchen, indem er einen ziemlich umfangreichen Fragenkatalog beantwortet. Charlie beschließt, Miranda die Hälfte der Eigenschaften von Adam bestimmen zu lassen, er möchte nicht wissen, für welche sie sich entscheidet. Seine Idee: „Adam träte als reale Person in unser Leben, die vielschichtige Komplexität seiner Persönlichkeit würde sich erst im Laufe der Zeit offenbaren, im Laufe seiner Handlungen, seiner Begegnungen mit den Menschen, die seinen Weg kreuzten. In gewissem Sinne wäre er wie unser Kind.“
Adam kann abspülen, er kann Handgelenke brechen, und er kann Sex
Was Charlie nicht ahnt: Adam ist wirklich ziemlich perfekt. Er übernimmt nicht nur den lästigen Abwasch – nein, er kann sogar Sex. Und so wird der künstliche Mensch für Charlie erst zum Nebenbuhler, und dann gefährlich. Bei einer Auseinandersetzung bricht er ihm ohne Mühe das Handgelenk. In kleinen, aber zielgerichteten Schritten wird der künstlich intelligente Mitbewohner zu einer Figur, die die Handlungsautonomie und Freiheit von Miranda und Charlie einschränkt.
Als Miranda und Charlie sich ein Kind wünschen, eskaliert die Situation
Dabei spielt dem Maschinenmann in die Hände, dass er äußerst lernfähig ist. Jede Information, die er bekommt, wird gespeichert, mit bereits vorhandenem Wissen vernetzt und mitunter auch gegen den Besitzer verwendet. Als Charlie und Miranda sich um die Adoption eines Kindes bemühen, eskaliert die Situation, den Adam gibt ohne jeden Skrupel Informationen weiter, die die Adoptionspläne gefährden. Parallel dazu erfährt Charlie von anderen Androiden-Besitzern, die ähnliche Probleme erleiden. Und so sieht er sich eines Tages dazu gezwungen, eine extreme Lösung für das Zusammenleben mit Adam zu finden.
„Maschinen wie ich“ ist ein hellsichtiger, hochrealistischer Roman über künstliche Intelligenz. Er ist getragen von feinem Humor – was ihn unterscheidet von Marc-Uwe Klings auch sehr gelungenen Zukunftsroman „Qualityland“, dessen Humor wesentlich überdrehter wirkt.
Zwei Punkte, die an diesem Roman über künstliche Intelligenz irritieren
Kritisieren möchte ich an diesem lesenswerten Roman lediglich zwei Punkte: Ian McEwan siedelt seine Geschichte in den 80er-Jahren an. Dass er sich in diesem Setting besser auskennt als in der Zukunft und er deshalb die Epoche und ihre Eigenheiten treffsicherer beschreiben kann, wiegt für mich nicht auf, dass es einen so perfekten Androiden wie Adam in den 80er-Jahren nicht gab und auch heute noch nicht gibt; weshalb die Geschichte hier viel von ihrer Realitätsnähe verliert.
Die Gestaltung der Hauptfigur Charlie wirft eine Frage auf
Das andere Merkwürdige, was mir beim Lesen passierte, hat mit der Hauptfigur Charlie zu tun: So wie Ian McEwan seinen Protagonisten in „Maschinen wie ich“ beschreibt, dachte ich beim Lesen stets an einen wesentlich älteren und reiferen Mann. Dass Charlie erst zweiunddreißig Jahre alt sein soll, musste ich mir beim Lesen immer wieder bewusst in Erinnerung rufen. Denn von seinem Verhalten her, vermittelte er mir dieses Gefühl nicht. Diese beiden Kleinigkeiten können nichts daran ändern, dass Ian McEwan dieser Roman gleichermaßen klug und unterhaltsam gelungen ist.