Jörg Steinleitner: Herr Markaris, in Ihrem Roman “Live!”, der nun – ideal für die Urlaubszeit – auch als Taschenbuch vorliegt, erschießt sich ein Bauunternehmer live vor der Kamera. Anstatt eine Werbepause einzublenden hält der Regisseur der Sendung voll drauf. Auch die Container-Sendung “Big Brother” erwähnen Sie in Ihrem Krimi. Wie beurteilen Sie die Medien der Gegenwart? Ist die Obszönität des Fernsehens noch zu steigern?
Petros Markaris: „Mediendemokratie“, „Medienpolitik“, „Medienlandschaft“, „Medienskandal“… Es gibt kaum mehr einen Bereich des öffentlichen Lebens, in dem das Wort „Medien“ nicht als Hauptwort erscheint. Dabei werden die Medien – womit bekanntlich vor allem das Fernsehen gemeint ist – in Griechenland zunehmend schlechter und in dem Masse in dem sie an Qualität verlieren, werden sie auch aggressiver. Es ist, als ob Qualitätsverlust und Aggressivität Hand in Hand gingen. Folglich wird auch die Obszönität des Fersehens weitergehen. Unter „Mediendemokratie“ ist eine Demokratie zu verstehen die zunehmend von den Medien mitgestaltet bzw. mitverunstaltet wird.
Jörg Steinleitner: Nahezu unbemerkt üben Sie anhand Ihrer Kommissar-Charitos-Krimis Sozialkritik. Dies ist für einen Krimi etwas ungewöhnlich. Ist derartiges Entertainment der Weg, mit dem in einer auf Unterhaltung getrimmten Welt auf Missstände am effektivsten aufmerksam gemacht werden kann?
Petros Markaris: Der europäische Kriminalroman entwickelt sich, seit den achtziger Jahren, zu einem sozialkritischen Roman. Das sieht man nicht nur an meinen Romanen. Manuel Vasquez Montalban, Donna Leon, Andrea Camilleri, Jean-Claude Izzo schreiben Kriminalromane, in denen das soziale Milieu und die soziale Realität mit der Krimi-Handlung gleichwertig sind. Vielleicht hängt dieser Trend auch damit zusammen, dass in den Zeiten der Globalisierung das Verbrechen überwiegend als ein finanzielles Verbrechen erscheint, das das gesellschaftliche Zusammenleben immer mehr beeinflusst.
Jörg Steinleitner: Sie beschreiben in Ihrem in Griechenland spielenden Buch auch ein derzeit in Deutschland heiß diskutiertes Thema, nämlich die Frage, ob ausländische Arbeiter inländischen Arbeitplätze wegnehmen. Es scheint, als würden die Menschen aller Länder zunehmend mit den gleichen Themen und Problemen kämpfen. Müssen wir dies in Kauf nehmen, um das Europa, von dem wir träumen, zu erreichen?
Petros Markaris: Ich bin gerade aus einer langen Lesereise in Deutschland zurückgekommen. Während meines fast zweiwöchigen Aufenthalts las ich in den Zeitungen, dass beim Spargelpflücken fast nur noch polnische Arbeiter eingestellt wurden. Und in den neuen Bundesländern arbeiten mehrheitlich Ärzte aus Polen, der Slowakei, Bulgarien und der Ukraine. Was in meinem Roman als Sarkasmus gemeint ist, dass nämlich die olympischen Bauten von Albanern, Bulgaren und Rumänen gebaut worden ist, wird allmählich zur europäischen Realität. Europa braucht eine andere Politik, um diese neue Realität und die daraus entstehenden Spannungen zu meistern. „Multitkulti“ hat sich eben als „Kulturromantik“ erwiesen und „Leitkultur“ bedeutet ganz einfach Dominanz. Für ein friedliches Zusammenleben braucht man eben andere Rezepte.
Jörg Steinleitner: Ein Baustellenleiter in “Live!” wundert sich darüber, dass die Arbeitslosen keine Revolte anzetteln. Ist das Bild vom Aufstand der Arbeitslosen gegen Ausbeutung und Korruption ein realistisches Zukunftsszenario?
Petros Markaris: Nein. Wir leben weder in den Zeiten des Früh-Kapitalismus, noch im Zeitalter der Revolutionen. Damals hatten die Arbeiter das Bewusstsein, dass sie eigentlich die produzierende Kraft des Kapitalismus waren. Die Produktion lag ohne sie brach. Heute werden fast täglich Stellen abgebaut und alle sehen macht- und willenlos zu. Die Arbeitslosen revoltieren nicht gegen die Firmen, die sie entlassen. Sie revoltieren gegen den Staat, wenn er das Arbeitslosengeld kürzt. Das ist schon Beweis genug für ihre Ohnmacht.
Jörg Steinleitner: Ihr ironiebegabter Kommissar Charitos muss auch im Korruptions-Sumpf der vorolympischen Baustellen Athens ermitteln. Wie haben sich Griechenland und Athen durch die Olympiade 2004 verändert?
Petros Markaris: Eine Freundin von mir, die gebürtige Barcelonerin ist, sagte einmal, dass Barcelona vor 1992 eine sehr schöne Stadt war, die durch die Olympische Spiele in eine schöne Boutique umgekrempelt wurde. Athen unterläuft keine solche Gefahr. Sie war weder eine schöne Stadt, noch ist sie heute eine schöne Boutique. Das Verkehrssystem im Stadtzentrum hat sich beträchtlich verbessert und die Stadt ist zwar nicht schöner, wohl aber ein bisschen menschlicher geworden. Sonst ist alles beim Alten geblieben.
Jörg Steinleitner: Deutschland ist Ihnen als Goethe- und Brechtexperte sehr vertraut. Was schätzen Sie an den Deutschen und Deutschland besonders? Was an den Griechen und Griechenland?
Petros Markaris: Mein Umgang mit den Deutschen geht jetzt auf fast vier Jahrzehnte zurück. Was ich am meisten an ihnen schätze, ist, dass sie in all diesen Jahren einen enormen Wandel vollzogen haben. Sie sind weltoffener geworden, humorvoller, sie haben an Lebenslust viel dazugewonnen. Sie sind nach wie vor kultiviert, aber keine Kulturfreaks mehr. An den Griechen schätze ich, dass sie das Leben so nehmen wie es kommt. In den letzten Jahren haben die Griechen eine Vorliebe für Hunde entwickelt, aber sie selbst sind eigentlich wie die Katzen. Sei schreien solange bis man ihnen die Tür öffnet. In einem Punkt sind sie jedoch den Deutschen überlegen: Sie können mit Krisen viel entspannter umgehen.
Jörg Steinleitner: Tausende Deutsche urlauben jedes Jahr in Griechenland. Unsere Begeisterung für Ihr Land hat Tradition. Was sollten wir in unseren Sommerurlaub in Athen neben Ihrem packenden Krimi auf jeden Fall noch mitnehmen – und: Welchen Geheimtipp für einen Besuch in Athen können Sie uns verraten? (eine griechische Spezialität?, eine Sehenswürdigkeit, ein literarischer Tipp …?)
Petros Markaris: Es gibt mittlerweile Deutsche, die Griechenland besser kennen als ich. Im Grunde genommen ist Griechenland ein Inselland und kein Stadtland. Wenn die deutschen Urlauber aber unbedingt nach Athen kommen wollen, dann würde ich ihnen empfehlen, dass sie ihre Geduld mit einpacken. Sie sollten nicht nur auf die Akropolis gehen, sondern auch die Viertel der Alstadt – Metaxourgio, Psiri und Votanikos – besuchen, besonders den Stadteil rund um die antike Agora. Und sie sollten auch Zeit für die athener Nacht sparen. Athen bekommt nach Sonnenuntergang ein anderes Antlitz und wird zu einer wirklich schönen Stadt.
Jörg Steinleitner: Herr Markaris, vielen Dank für das Gespräch.