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Früher verfolgte Jörg Steinleitners Sohn das Berufsziel Affe bzw. Indianer. Doch jüngst, beim abendlichen Vorlesen, überraschte Leonhard ihn mit einer neuen Idee. Wird es gelingen, den Sohn davon abzubringen?

Mein Sohn will nicht mehr Affe werden, sondern Philosoph – eine Kolumne von Jörg Steinleitner

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Man kann als Anwalt starten und dann noch die Kurve zum seriösen Kolumnisten kratzen

Unsere familiäre Situation hat sich gravierend verändert: Unser achtjähriger Sohn Leonhard hat mir gestern Abend eröffnet – ich schlug gerade Kirsten Boies „Thabo – Die Krokodil-Spur“ auf, um ihm daraus vorzulesen – dass er Philosoph werde. Nun ist es nicht so, dass ich der Ansicht bin, mein Sohn müsse unbedingt etwas „Anständiges“ lernen, wie man so sagt. Ich bin ja zunächst auch nur Lehrer und Rechtsanwalt geworden, ehe ich einen seriösen Beruf ergriff und Kolumnist wurde. Man kann also durchaus mit einem eher zweifelhaften Beruf anfangen und dann noch die Kurve kratzen. Aber Philosoph? Ich fühlte mich überrumpelt.

Affe war im Vergleich zu Philosoph doch ein bodenständiger Berufswunsch

„Warum denn Philosoph?“, fragte ich.
„Weil ich es gut finde“, war seine erhellende Antwort.
Die Buchstaben von Kirsten Boies leider nur mittelspannendem Krimi verschwammen vor meinen Augen. Philosoph! In diesem Moment wäre es mir lieber gewesen, er hätte wieder zurückgeschwenkt zu seinen früheren Berufszielen: Es gab Phasen in seinem Leben, da peilte Leonhard eine Zukunft als Affe bzw. Indianer an. Auch nicht toll, aber doch wohl besser als die Vorstellung, die nächsten Jahrzehnte einem zynischen Sloterdijk oder einem schlaumeiernden Richard David Precht Abend für Abend bei Wärmflasche und Kuschelhase Geschichten vorlesen zu müssen!

Wenn es um die Zukunft des Kinds geht, fährt man allerlei Argumente auf

„Du weißt schon, dass man, wenn man Philosoph werden will, erst mal die ganzen alten Philosophen lesen sollte?“, fragte ich.
„Was denn für alte Philosophen?“, wollte mein Sohn nun wissen.
„Na ja, halt die Werke von Sokrates oder Platon – und dann natürlich auch noch den ganzen Rest, der in den vergangenen zweieinhalbtausend Jahren von Philosophen so geschrieben wurde. Das ist ein Haufen Holz, mein Lieber.“ Leonhards Gesichtsausdruck war anzusehen, dass ich dabei war, ihm diese Schnapsidee auszureden. „Außerdem ist Philosophie lebensgefährlich“, legte ich nach. Doch das entpuppte sich als Fehler.
„Wieso denn das?“ Plötzlich wirkte Leonhard wieder interessierter. Für einen, der bis vor kurzem noch Affe beziehungsweise Indianer werden wollte, übte die Vorstellung von Todesgefahr offensichtlich einen gewissen Reiz aus.
„Nun, Sokrates wurde wegen seiner Philosophie zum Tode verurteilt.“
„Was?“, rief Leonhard staunend aus.
„Ja“, sagte ich. „Wegen Gottlosigkeit und weil man ihm vorwarf, die Jugend zu verderben. Vor allem aber, weil er ein sturer Bock war.“ Ich zögerte. Dann sagte ich: „Eigentlich genau wie du.“
„Ich bin kein sturer Bock!“, wehrte sich mein Sohn.
Ich verzichtete darauf zu sagen, dass man sture Böcke gerade daran erkennt, dass sie von sich behaupten, keine zu sein.
Da von mir nun gerade nichts mehr kam, meinte Leonhard: „Ich möchte trotzdem Philosoph werden.“

In erster Linie geht es meinem Sohn um Autonomie

„Okay“, sagte ich. Irgendwie hatte ich die Lust an diesem Gespräch verloren. Man hat schließlich abends im Bett beim Geschichtevorlesen schon einen ganzen Tag damit verbracht, große und kleine Koalitionen zu schmieden, Verhandlungen entstehen und scheitern zu lassen und fabelhafte Zukunftsvisionen aufs Papier zu bringen. Da kann man sich schon mal schlapp wie Schulz fühlen. Aber da fiel mir doch noch etwas ein: „Hör mal“, sagte ich. „Du beschwerst dich doch ständig, dass du jeden Tag in die Schule musst.“
„Ja“, stimmte mir Leonhard zu. „Weil ich dann nicht machen kann, was ich will.“
„Das Gleiche würde dir als Philosoph blühen. Der Philosoph geht sein ganzes Leben lang in Schule.“
„Echt? Was für eine Schule soll das sein?“, fragte Leonhard ungläubig.
„Die Schule des Lebens“, sagte ich, aber weil sich das altbacken anhörte, schob ich noch hinterher: „Und außerdem die Universität. Der Philosoph muss jeden Tag in die Universität.“
„Ah“, meinte Leonhard. „Dann könnte ich also auch nicht machen, was ich will.“
„Genau“, erwiderte ich zufrieden.
„Dann – werde ich eben Denker“, sagte mein Sohn. Ich schluckte und beschloss, mit der Kirsten-Boie-Lektüre zu beginnen. Danach streichelte ich ihm noch ganz lange den Rücken. Und während ich noch darüber nachdachte, ob ich ihm in den nächsten Tagen by the way die Vorteile eines glamourösen Kolumnistenlebens deutlich machen sollte, schlief ich ein.

P.S.: Dass auch das Denker-Leben seine Schattenseiten hat, kann ich meinem Sohn nun glaubwürdig vermitteln: Der Fototermin mit Auguste Rodin entbehrte nicht einer gewissen Kälte. Im Übrigen fühlt man sich als Denker tatsächlich eher nackt.

P.P.S.: Meine Tochter Isabella findet „Thabo: Detektiv und Gentleman – Die Krokodil-Spur“ übrigens nicht nur mittelspannend, sondern richtig spannend. Sie hat sich eben den dritten Band gekauft: „Thabo: Detektiv und Gentleman. Der Rinder-Dieb“. Sie will weder Philosophin noch Denkerin werden. Sie weiß es einfach noch nicht.

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<a href="https://buchszene.de/redakteur/joerg-steinleitner/" target="_self">Jörg Steinleitner</a>

Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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