Warum haben Männer größeren Hunger als Frauen?
Helena findet, dass man nicht jeden Tag kochen muss. Dass wir uns doch auch einfach nur Brote machen können. Oder ein Müsli essen. Ich finde das nicht. Was wir essen ist so ziemlich das einzige Thema, über das wir wirklich harte Diskussionen führen. Das ist seltsam, denn wir essen beide gerne und wir machen beide viel Sport – und so müsste Helena eigentlich genauso großen Hunger haben wie ich. Hat sie aber nicht. Ich esse immer mehr als sie, außer es gibt Sushi. Und wenn ich dann nach dem eigentlichen Essen an den Kühlschrank gehe, um mir noch Wurst und Käse herauszuholen und zwei zusätzliche Brote zu machen, dann kann sie auch ziemlich beleidigt sein. Weil ich damit ausdrücken würde, dass sie zu wenig gekocht habe, sagt sie. Ob sie zu wenig gekocht habe?, fragt sie. Was will man da antworten?
Warum brauchen Männer beim Grillen keinen Salat, Frauen aber schon?
Es ist seltsam: Wenn ich mit meinen Männerfreunden grille, dann besteht keiner darauf, dass es auch Salat oder Gemüse gibt. Wenn wir mit unseren Frauen und Freundinnen zusammen grillen, dann muss es Salat geben. Kürzlich hatte ein Freund, der einen Barbecue-Abend für alle organisiert hatte, den Salat vergessen. Prompt bekam er eins auf den Deckel – von seiner Frau. Auch aus statistischer Sicht sind die Unterschiede eklatant: Laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. essen Männer fast doppelt so viel Fleisch und Wurst wie Frauen. 1092 g zu 600 g pro Woche lautet die Gleichung. Gesund wären laut DGE 300 g bis 590 g Fleisch pro Woche. Da lägen sogar die Frauen fast an der Obergrenze.
Warum sollte ich mir einbilden, ich bin satt, wenn ich es doch nicht bin?
Aber das löst das Rätsel, weshalb Männer und Frauen so unterschiedliche Essensbedürfnisse haben, auch nicht. Das Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg sagt, es gebe keinen biologischen Grund dafür, dass ich und die anderen Männer mehr Hunger haben als Helena und die anderen Frauen. Ja, aber bitte, muss ich da antworten: Ich bilde mir das doch nicht ein, dass ich noch nicht satt bin, wenn ich noch nicht satt bin!
Ist es wirklich so, dass wir Männer durch unser Fleisch-Essen Macht demonstrieren?
Sucht man im Internet nach einer Lösung für dieses Rätsel, landet man auf der Seite eines gewissen Dr. Pfau, der sich Sexualmediziner nennt, und auch zu anderen männerspezifischen Themen wie „Der zu kleine Penis“ und „Das Rezept zum ‚ganzen Kerl‘ Stellung bezieht. Dr. Pfau verbreitet ziemlich erstaunliches Zeugs, man könnte es auch für Quatsch halten, z.B. dass wir Männer rohes oder kaum durchgebratenes Fleisch äßen, um unsere Macht zu demonstrieren. Aber, lieber Herr Dr. Pfau: Helena mag auch rohes Fleisch, nur eben mengenmäßig viel weniger als ich. Weiter erklärt der Sexualdoktor, das Testosteron sei schuld an meinem Hunger: Es mache uns Männer nämlich zu Jägern. Außerdem schenke es uns Muskelmasse und das für die Jagd erforderliche Aggressionspotential. „So eine ‚Jagdmaschine‘“, schreibt der Sexualarzt doch glatt, „braucht auch viel Energie ohne fett werden zu dürfen, und für diesen Zweck ist Fleisch wie geschaffen.“
Sind wir Männer Testosteron getriebene „Jagdmaschinen“?
Natürlich schmeichelt mir die Vorstellung, man könnte in mir eine „Jagdmaschine“ sehen. Bin ich aber eher nicht: Ich habe mal mit unserem Sohn Leonhard in Schweden aus Versehen einen Fisch aus dem See geangelt. Wir zogen ihn an Land – und da zappelte er nun. Wir hätten ihn totschlagen müssen. Aber ich, die Testosteron-„Jagdmaschine“, brachte das nicht übers Herz. Leonhard holte dann Helena und sie regelte das. Meine Frau kann übrigens auch Hühner schlachten. In unserer Familie ist definitiv Helena die Jagdmaschine.
Erziehen wir Jungs in Sachen Essen anders als Mädchen?
Das baden-württembergische Ess-Ministerium meint, die Weichen für das unterschiedliche Essverhalten von Frauen und Männern würden schon in der Kindheit gestellt – bei Jungs sei ein großer Appetit erwünscht, damit sie groß und stark würden. Das mag schon sein, dass meine Eltern sich bei mir einen großen Appetit gewünscht haben, aber da habe ich sie genauso enttäuscht wie dies heute unser Sohn Leonhard gegenüber uns tut: Ich war als Kind sehr heikel und habe mich, in Frankreich aufwachsend, ausschließlich von Baguette und Camembert ernährt. Und auch Leonhard isst – im Gegensatz zu seinen Schwestern – nur ein Gericht verlässlich, und das sind Pfannkuchen mit Zucker und Zitrone. Nicht einmal Nudeln mag er. Es stimmt also schon, dass hier ein größerer Appetit erwünscht wäre, aber dieser Wunsch bleibt unerhört. Könnte es sein, dass ich mich mit meinem heutigen Essverhalten nachträglich als guter Sohn erweisen möchte? Dass ich nun das ganze Fleisch esse, von dem sich meine Mutter damals wünschte, ich würde es essen?
Warum isst meine Frau am Ende dann doch mit?
Helena und ich können wirklich ausgiebig über dieses Essensthema diskutieren, ja sogar streiten. Das bringt mich zur Verzweiflung. Nicht selten ist es dann so, dass ich mich einfach über ihren Wunsch hinwegsetze, nur ein Müsli mit Joghurt zu Abend zu essen. Ein bisschen Trotz ist da natürlich auch dabei, wenn ich an solchen Abenden schnell Zwiebeln schneide, Wurst oder Schinken würfle, Nudeln koche, alles in einer Pfanne mit Butter zusammen werfe und Käse darüber streue. Während der Käse zerläuft, bereite ich einen Salat zu. Und interessanterweise isst Helena dieses deftige Essen dann immer gerne mit. Obwohl sie angeblich keinen Hunger hatte. Ist das logisch? Wer dies erklären kann, wende sich bitte unverzüglich an den Kolumnisten, welchen viele, gerade auch Frauen, für eine eindrucksvolle Jagdmaschine halten.