Warum die Lektüre von Mary Bassons „Die Malerin“ eine Herausforderung darstellt
Für jemanden, der in der Lektüre sogenannter Frauenromane wenig Übung hat, stellt sich das Lesen von Mary Bassons „Die Malerin. Die Kunst war ihr Leben – Kandinsky ihr Schicksal“ als kleine Herausforderung dar. Der Roman erzählt das Leben der Künstlerin Gabriele Münter, die einen wichtigen Teil ihres Lebens mit Wassily Kandinsky verbrachte und gemeinsam mit diesem die Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ ins Leben rief. Eine Vereinigung, die das Denken über Kunst und das künstlerische Schaffen auf eine neue Ebene hob. Dies war der eine Grund, weshalb mich dieses Buch interessierte. Der andere ist sowohl geographischer als auch persönlicher Natur: Ich wohne seit zehn Jahren etwa vier Kilometer von dem gelben Haus in Murnau entfernt, in dem Gabriele Münter und Wassily Kandinsky lebten. Eines meiner Nachbarhäuser wurde von Gabriele Münter in einem Gemälde verewigt.
„Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe“ – dies ist ein Frauenroman
Diese beiden Gründe wogen schwer genug, um mich durch die Anfangspassage von „Die Malerin. Die Kunst war ihr Leben – Kandinsky ihr Schicksal“ zu tragen. Denn gerade die erste Hälfte des Romans ist Mary Basson arg süßlich und klischeehaft geraten. Dies der Autorin vorzuhalten, ist aber unfair. Schließlich gehört dieses Buch zu einer Reihe, die vom Verlag mit dem Leitspruch „Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe“ vermarktet wird; und in der auch Titel wie „Madame Picasso“ und „Die Tochter des Malers“ über Marc Chagall erscheinen. Wer hier eine literarisch hochwertige Erzählweise erwartet – oder eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Kunst – ist selbst schuld. Nein, dieser Roman erzählt das Leben der Gabriele Münter mit souveräner Rosamunde-Pilcher-Haftigkeit.
Damals ein Skandal: Die ledige Gabriele Münter küsst den verheirateten Kandinsky
Ich sage es ganz offen: Diese Erzählweise hat mich so lange genervt, so lange im Leben von Gabriele Münter alles schön und gut war. Die Jahre also, in denen sich die junge Malerin als Schülerin Wassily Kandinskys in diesen verliebt. In denen sie jeden einzelnen seiner Küsse zählt – ich glaube, das erste Set besteht aus 25; und in denen sie überlegt, ob sie sich im ganz hingeben soll, obwohl er doch eigentlich verheiratet ist, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts einem Skandal gleichgekommen wäre. Ob der Skandal eintritt? Wird hier nicht verraten. Ein bisschen erotische Spannung muss in einem Frauenroman Platz haben dürfen.
Sie nennen es „Russenhaus“ oder „Hurenhaus“ – Gabriele Münters Domizil in Murnau
Sowie das Geturtel zwischen dem berühmten und über zehn Jahre älteren Meister und der jungen, etwas verschrobenen Gabriele Münter, vom Glücksweg abkommt, wird die Geschichte richtig gut. Wassily Kandinsky muss wegen des Ersten Weltkriegs Deutschland verlassen. Sie will mitkommen, aber er sagt, dass das nicht gehe, weil sie als Deutsche in Russland ebenso als Staatsfeindin gelte wie er als Russe in Deutschland. Gabriele Münter bleibt also im „Russenhaus“, das man in Murnau auch das „Hurenhaus“ nennt.
Ein Brief Kandinskys führt bei Gabriele Münter zum Nervenzusammenbruch
Gabriele Münter schlägt sich durch in der Kriegszeit. Sie schreibt an Kandinsky. Sie schreibt noch einmal und noch einmal an ihn. Aber der antwortet nicht. Sie hält ihn für tot. Als der Krieg längst vorbei ist, erhält sie einen Schriftsatz seines Rechtsanwalts: Herr Kandinsky sei mittlerweile verheiratet und fordere sie auf, ihm alle seine Gemälde zuzuschicken. Gabriele Münter erleidet einen Nervenzusammenbruch, der sie über Jahre aus der Bahn werfen wird. Dann übernehmen Hitler und die Nationalsozialisten die Macht. Wassily Kandinskys Werke zählen plötzlich zur von ihnen als „entartet“ diffamierten Kunst. Und Gabriele Münter fällt es schwer angesichts des politischen Irrsinns, der ihr vor allem auf den Straßen Münchens zu Ohren kommt, den Mund zu halten. Es wird auch für sie gefährlich.
Es lohnt sich, „Die Malerin. Die Kunst war ihr Leben – Kandinsky ihr Schicksal“ zu lesen
Wird Gabriele Münter mit ihren politischen Ansichten Probleme mit der Gestapo bekommen? Wird sie wegen der vielen Gemälde Wassily Kandinskys, die sich noch in ihrem heimlichen Besitz befinden, ins Gefängnis kommen? Wird sie ihre große Liebe noch einmal wiedersehen? Oder wird sie ein neues Liebesglück finden? Solche und viele andere persönliche, politische und kunsthistorische Fragen werden im letzten Teil von „Die Malerin. Die Kunst war ihr Leben – Kandinsky ihr Schicksal“ beantwortet. Am Ende wirkt Mary Bassons Schreibstil auch gar nicht mehr so frauenromanhaft wie zu Beginn, sondern es wird spannend wie in einem richtig gelungenen Krimi. Das Tollste aber ist: Viele Orte, welche die amerikanische Autorin beschreibt, kann man heute noch besuchen. Das gelbe Haus der Gabriele Münter steht in Murnau und es ist eines der sehenswertesten kleinen Kunstmuseen Süddeutschlands.