Frau Bluhm liest „Der Totensucher“: 3 von 5 Blu(h)men
Ein Serienmörder. Eine verschwundene Tochter. Ein Wettlauf mit der Zeit
Kriminalhauptkommissar Adrian Speer lebt seit zwei Jahren in der Hölle auf Erden: Seit seine 11-jährige Tochter Lucy entführt wurde, fehlt jede Spur von dem Mädchen. Heute ist Adrian von Schuldgefühlen zerfressen, seine Frau Franziska und sein Sohn leben bei einem anderen und auch beruflich waren die letzten beiden Jahre eine Talfahrt.
Doch nun bekommt Adrian eine neue Chance: Gemeinsam mit seinem neuen Kollegen Robert Bogner wird er der neu entstandenen Mordkommission 8 zugeteilt, der Abteilung für besonders gewalttätige Fälle. Und gleich der erste Mord hält die Kollegen in Atem: ein ehemaliger Unterweltboss wird, bestialisch zugerichtet, in einer alten Fabrikhalle gefunden. Die Zunge wurde ihm entfernt und sein Körper mit dem Kopf nach unten aufgehängt. Robert und Adrian beginnen zu ermitteln. Schnell wird aus dem scheinbaren Einzelmord eine Serie, doch nicht genug: Beim zweiten Opfer finden die Ermittler ein aktuelles Foto von Lucy und plötzlich wird der Fall nicht nur für Adrian sehr persönlich.
Dieser Thriller macht sehr viel richtig
Bereits im Prolog gelingt es Autor Chris Karlden dem Leser das Blut in den Adern gefrieren zu lassen: Wir erleben hautnah die Entführung Lucys mit und werden als Leser somit sofort in die Spannung des Buches hineingezogen. Gleichzeitig eröffnet uns Chris Karlden einen realistischen Einblick in Adrian Speers Seele. Man leidet mit dem Ermittler, taucht tief ein in seine Emotionen und Motivationen. Wir begleiten ihn auf seiner fast schon manischen Suche nach der Tochter und erleben mit ihm, wie damals nicht nur ein Leben zerstört wurde. In Robert Bogner hat der Autor seinem Protagnisten einen ebenbürtigen Partner zur Seite gestellt. Dieser erweist sich von Anfang an als loyal und einfühlsam. Privat hängt allerdings auch bei Bogners der Haussegen schief. Polizistenehen halt …
Nach dem fulminanten Einstieg in das Buch, gelingt es Karlden den Spannungsbogen immer weiter zu erhöhen – und dann, in einem explosiven und atemraubenden Finale, das Ende mit einem Cliffhanger zu versehen, der sich gewaschen hat. Laut Aussage von Chris Karlden himself, ist der nächste Band der geplanten Reihe bereits in Arbeit und verspricht den Cliffhanger aufzulösen.
Wir erleben die Geschichte aus den Perspektiven des Täters und der Ermittler. Chris Karlden gelingt es, die beiden Parteien aufeinander zu zubewegen, ohne zu verraten, wer der Täter ist. Bis zum Schluss war ich total ahnungslos und sehr überrascht von der Auflösung. Großes Spannungskino!
Für Vielleser enthält das Buch einige Stolperfallen
Leider begeht Chris Karlden in seinem Buch den Fehler, viel zu viel in ein Buch packen zu wollen. Er geht sehr schön auf das Thema ein, inwieweit Menschen durch schreckliche Dinge, die sie erleben, zu Mördern werden. Das ganze Buch spinnt sein Netz um das Thema der Rache. Ist es wirklich schlimm, jemandem das Leben zu nehmen, der anderen so viel Leid zugefügt hat? Chris Karlden schafft es, dass man fast schon Sympathie für einen Täter hegen könnte, der Kinderschändern auflauert und sie hinrichtet. Er spielt auf großartige Weise mit den Gefühlen und Sympathien seiner Leser, indem er in Adrian Speer einen sehr „menschlichen“ Polizisten erschafft. An dieser Stelle hätte mit der Psychologie Schluss sein müssen.
Allerdings kommt dann noch eine weitere Ebene hinzu: In Rückblenden aus Sicht des Täters wird beschrieben, wie er zu dem wurde, was er heute ist. Hätte sich Chris Karlden dabei auf die schrecklichen Erlebnisse in der Kindheit beschränkt, hätte ich 5 Blu(h)men für das Buch gegeben. Plötzlich ist er dann aber auch noch Bettnässer, quält Kleintiere und zündelt. Ganz ehrlich: Diese Serienmörderprofilinggeschichten für Einsteiger kennen wir seit Langem. In der heutigen Zeit würde kein Profiler mehr als überragend dargestellt werden, der mit dieser These um die Ecke kommt. Einen Vielleser kann man damit nicht mehr hinter dem Ofen hervorlocken.
Wo der Autor zu viel wollte und ein super Buch unglaubwürdig machte
Davon ganz abgesehen, dass diese eindeutig psychopathischen Tendenzen nichts, aber auch gar nichts mit der Theorie zu tun haben, dass schreckliche Erlebnisse in der Vergangenheit, einen Menschen zum Monster machen können. Da hat der Autor einfach zu viel gewollt, und ein super Buch ein wenig unglaubwürdig gemacht.
Oben erwähnte ich, wie gut Chris Karlden die Persönlichkeiten von Speer und Bogner herausarbeitet. Ein wenig hat mir dabei allerdings die Tiefe gefehlt. Genau übrigens, wie bei der Beschreibung der wunderschönsten Stadt der Welt. Von Berlin habe ich in diesem Buch so wenig gesehen, es hätte auch in Buxtehude spielen können. Schade.
Fazit: Für Thriller-Neulinge großartig, für Vielleser wenig Neues
Ganz oft beim Lesen dieses Buches kam es mir so vor, als hätte ich das alles irgendwo schon mal gelesen. Die Parallelen zu amerikanischen oder britischen Autoren wie Chris Carter und Simon Beckett sind ganz klar für Vielleser erkennbar. Das ist eigentlich schade, denn ohne diese Überhäufung an Schubladen-Klischees bei Ermittlern und Täter, wäre das ein tolles Buch gewesen, das sich durchaus mit seinen englischsprachigen Kollegen messen könnte.
Der Schreibstil von Chris Karlden ist sehr fesselnd, die Charakterzeichnung seiner Protagonisten vielversprechend und der Aufbau der Geschichte mit dem Riesen-Cliffhanger und der Rahmenhandlung von Lucys Entführung wirklich großartig.
Vielleicht ist man als Vielleser schon zu anspruchsvoll geworden? Vielleicht bin ich auch einfach zu mäkelig. Leider konnte mich der erste Band nicht ganz überzeugen, für Thriller-Neulinge ist er aber bestimmt ganz großartig. In jedem Fall werde ich mir, wenn er denn irgendwann kommt, den zweiten Band auch besorgen und lesen und am Ende gerne meine Meinung revidieren. Heute hat’s leider (nur) für 3 Blu(h)men gereicht.