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Eltern verzweifeln, weil Söhne nicht lesen. Es gibt eine Lösung, aber die ist gefährlich. Jörg Steinleitners Kolumne.

Wie mein Sohn wegen Karl May aus dem Hochbett fiel – Jörg Steinleitners Kolumne mit Buchtipps für junge Abenteurer

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Viele Eltern verzweifeln, weil ihre Söhne kein Buch in die Hand nehmen. Es gibt einen Schriftsteller, der diese Krankheit erfolgreich zu bekämpfen weiß: Karl May. Allerdings ist diese Lektüre nicht ungefährlich. Eine Kolumne über Schwarzpulver und Gehirnerschütterungen, Waffen im Pyjama und nächtliche Prügeleien, Winnetou und Old Shatterhand.

„Noch einen Schritt weiter, und ich jage euch eine Kugel in den Kopf“, schrie mein Sohn

In der letzten Nacht weckte mich lautes Gepolter und Geschrei. Schnell sprang ich auf, eilte mit wehendem Pyjama durch den Flur und fand meinen Sohn Leonhard auf dem Boden liegend vor. Er war es, der so schrie. Aber nicht nur das: Leonhard kämpfte und prügelte. Sein Gegner war die Bettdecke, in die er sich unrettbar verheddert hatte. Als ich ihn ansprach, brüllte er auch mich an: „Noch einen Schritt weiter, Rattler, und ich jage Euch eine Kugel in den Kopf. Fort mit dem Messer!“

Nachts im Pyjama führe ich selten Messer bei mir

In der Tat führe ich tagsüber in der rechten Hosentasche stets ein Schweizer Offiziersmesser bei mir. Doch nächtens im Pyjama bewahre ich selten Messer auf. Insofern zuckte ich ratlos mit den Schultern und betrachtete meinen tobenden Sohn. Seine Augen waren weit aufgerissen, aber er schien mich nicht zu sehen. „Leonhard“, rief ich deshalb. „Ich bin’s – dein Papi!“ Doch der Achtjährige prügelte weiter auf die Decke ein. Er träumte. Ich packte ihn und rüttelte ihn kräftig durch. Erst allmählich kam er zu sich. Den Rest der Nacht schlief er in Helenas und meinem Bett.

Karl Mays „Unter Geiern“ und „Winnetou I“ veränderte unser Leben

Am nächsten Morgen klagte er über Kopf- und Rückenweh. Kein Wunder, war er doch vermutlich aus dem Hochbett herausgefallen und auf den Boden gekracht. Einmal mehr bestätigt sich die These, dass Lesen gefährlich ist. Denn natürlich war Leonhards nächtliche Prügelei seiner neuen Begeisterung für Karl May zu danken. Leonhard ist ja nicht so eine Leseratte wie seine beiden Schwestern. Aber seit ich ihm die ersten Seiten von „Unter Geiern“ vorgelesen habe, nutzt er jede Minute, um sich mit Winnetou und Old Shatterhand durch die Prärie zu treiben. Und wenn er nicht Karl May liest, dann baut er sich Pfeil und Bogen – im echten Leben.

Mein Sohn möchte gerne ein Gewehr bauen – möglichst eine Silberbüchse

Seit gestern sucht er im Internet nach Möglichkeiten, wie man sich selbst ein Gewehr bauen kann. Ich habe ihn bereits dabei erwischt, wie er eine Gebrauchsanweisung für die Herstellung von Schwarzpulver las. Von meinen Freunden beim Landeskriminalamt weiß ich, dass man als Privatmann nicht mit solcherlei Sprengstoffen hantieren sollte. Das gibt Ärger. Aber Leonhard meint, er brauche unbedingt eine Silberbüchse wie Karl Mays Winnetou sie hat.

Klassenkameraden, die es nicht checken, sind für ihn „Greenhorns“

Zu seinem Geburtstag wünscht er sich ein Indianerzelt. In der Faschingszeit musste Helena ihm bereits eine Indianerhose nähen. Als sie ihn fragte, ob sie eine Schnur einziehen solle, mit der er die Hose zubinden könne, antwortete er: Nein, das sei zu unpraktisch, wenn er im Sommer baden gehen wolle. Ein Gummizug sei besser. Fasching ist längst vorbei, aber Leonhard trägt noch immer die Indianerhose. Sogar zum Fußballtraining und zum Schlafen legt er sein ledernes Stirnband nicht ab und jüngst wollte er mit Mokassins in die Schule gehen. Ob ihn die anderen nicht auslachen würden?, fragte ich ihn. Dafür hat Leonhard nur ein mitleidiges Schulterzucken übrig: „Das sind doch Greenhorns. Die haben keine Ahnung von Karl May.“

Sicher war Karl May ein Spinner – aber ein genialer

Karl May wurde wegen seiner Romane, die er schrieb, ohne im Indianerland gewesen zu sein, oft verspottet. Er saß jahrelang im Gefängnis, behauptete 1.200 Sprachen zu sprechen und führte zu Unrecht einen Doktortitel. Er war einen großen Teil seines Lebens arm, erst mit etwa 50 Jahren begann sein unglaublicher Erfolg. Vermutlich war Karl May ein verrückter Spinner, aber er hat geniale Abenteuer erfunden. Ich empfehle allen, die wollen, dass ihre Söhne das Lesen für sich entdecken, den Jungs die ersten Seiten von „Unter Geiern“ oder „Winnetou  I“ vorzulesen. Bei uns war die Wirkung magisch. Nur eine Bitte hätte ich: Lassen Sie Ihr Kind in dieser Zeit nicht im Hochbett schlafen.

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<a href="https://buchszene.de/redakteur/joerg-steinleitner/" target="_self">Jörg Steinleitner</a>

Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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