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Bücher entdecken

Herwig – Leselust im Schwäbischen

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1873. In Wien ist Weltausstellung. In Schottland wird der Fußballverein Glasgow Rangers gegründet. Und während im Westen der USA Jesse James mit seiner Gang zum allersten Mal in der Geschichte einen Zug überfällt, lassen sich Levi Strauss und Jacob Davis an der Ostküste eine Hose patentieren – die Jeans. Dem 24-jährigen Buchhändler Erwin Herwig kann das damals alles Jacke wie Hose sein. Ihn interessiert, dass in Paris bereits zu Beginn des Jahres Jules Vernes Roman Reise um die Erde in 80 Tagen erschienen ist. Hat er doch gerade nach neun Lehr- und Wanderjahren, und dann auch noch unter eigenem Namen, in der damals rund 9.000 Einwohnern zählenden, rund 40 Kilometer von Stuttgart entfernt liegenden, aufblühenden Stadt Göppingen eine Buch- und Musikalienhandlung eröffnet. Hier sollen seine schwäbischen Landsleute nicht nur Interessantes, Unterhaltendes und Wissenswertes aus ihrer Region, sondern auch die neuesten Bücher aus aller Welt entdecken, lesen und natürlich kaufen können. Ein Konzept, das in Schwaben, dem Land der Dichter, Denker und Tüftler, aufgehen und Früchte tragen sollte.

Einschließen und Genießen

143 Jahre später gehört die Buchhandlung Herwig mit ihrem Stammhaus in Göppingen und ihren Filialen in Aalen, Heidenheim, Schwäbisch-Gmünd, Ulm und, als Tochterunternehmen, der Schlosser’schen Buchhandlung in Augsburg, zu den großen und renommierten Buchhandlungen im Südwesten Deutschlands. Sie hat sich in den letzten 30 Jahren über die Region hinaus, in der sie verwurzelt ist und zu der sie sich immer wieder bekennt, zu einer Buchhandelsmarke mit großer innovativer Strahlkraft entwickelt – moderne, je nach Standort unterschiedliche, individuell eingerichtete Buchhandlungen, in denen die gelebte Lust am Buch und am Lesen überall atmosphärisch spürbar ist: Knapp 100 engagierte, kompetente und kenntnisreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich um die Belange der Kunden kümmern, ein Sortiment, das dem Slogan „Herwig – Bücher entdecken“ alle Ehre macht, und ein voller Überraschungen steckendes Veranstaltungsprogramm. Seit 1990 leitet Till Herwig, Urenkel des Gründers, als Inhaber und Geschäftsführer zusammen mit seiner Frau Sabine die Geschicke der Buchhandlung. Buchszene.de traf ihn in Göppingen auf ein Interview und einen Espresso Doppio. Natürlich in der hauseigenen Libresso Cafébar.

Interview: Klaus-Dieter Müller

Lieber Herr Herwig, können Sie sich noch an Ihr erstes Buch erinnern?

Mein erstes Buch an das ich mich genauer erinnern kann, das war der „Schellen-Ursli“. Die Geschichte von dem Jungen aus dem Engadin, der eine viel zu kleine Glocke hat, um damit am Umzug in seinem Bergdorf teilnehmen zu können. Da macht er sich auf, ganz allein in der dunklen Nacht durch den tiefen Schnee, um sich oben von einer Alpe eine mächtige Kuhglocke zu holen… Ich erinnere mich, dass ich diese wunderbar bebilderte Geschichte aus den Bergen damals ziemlich unheimlich fand, aber genauso faszinierend.

Ihre Familie betreibt seit 1873 Buchhandel. Welche Rolle spielt Tradition für Sie?

Das ist eine interessante Frage. Da muss ich nachdenken. Sicher ist, dass ich mir darauf nichts einbilde. Ein Unternehmen kann noch so alt sein und doch morgen schon pleite. Und es ist auch nicht so, dass ich mich jeden Tag vor dem Porträt meines Urgroßvaters verneige.

Wissen Sie, ich bin von klein auf mit Büchern und in der Buchhandlung aufgewachsen. Da erinnere ich mich an viele interessante, lustige und auch skurrile Ereignisse und Begegnungen. Dazu kommt dann die familiäre Nähe. Vielleicht schafft das alles doch eine engere Verbindung zu dem was ich mache und zu den Menschen, mit denen ich es dabei zu tun habe, als wenn es das alles nicht gäbe.

Kunden Herwig

Kunden stöbern in der Buchhandlung Herwig

Man findet Sie in Ulm, einer Großstadt, in mittelgroßen Städten, an Ihrem Stammsitz in Göppingen. Was macht ein Buchhändler in der schönen schwäbischen Provinz anders als in einer feinstaubbelasteten Metropole?

Grundsätzlich macht ein Buchhändler in kleineren Städten das Gleiche wie in einer Großstadt. Ich sehe da keine Unterschiede, wir leben ja nicht hinterm Mond. Allerdings ist es in der Provinz wohl etwas ruhiger und persönlicher. Da sieht man den Lauf der Dinge gelassener und rennt nicht jeder Mode gleich hinterher. Und die Luft ist auch besser.

Wie müssen inhabergeführte Buchhandlungen grundsätzlich agieren, um heute bei Lesern und am Markt erfolgreich zu sein?

Ganz gleich ob von Inhabern geführt oder als Konzern, erfolgreich ist nur der, dem es gelingt die Bedürfnisse seiner Kunden zu erkennen und möglichst gut zu bedienen.

Bereits seit dem Jahr 2000 sind Sie als regionale Buchhandelsmarke mit einer eigenen Online-Buchhandlung im Netz. Welche Vorteile sehen Sie als stationärer Buchhändler in dieser virtuellen Plattform?

Wir wollen unseren Kunden hier im lokalen Rahmen die Möglichkeit bieten, auch bei uns komfortabel online einzukaufen und sich über Bücher oder unsere sonstigen Aktivitäten zu informieren, damit sie dazu nicht erst nach „Amazonien“ reisen müssen.

Ist das Buch noch eine geistige Ware, und wieviel „Kulturvermittlung“ steckt noch im modernen Buchhandel?

„Geistige Ware“ klingt mir zu hochtrabend. Gleichwohl gehören Bücher und das Lesen selbstverständlich zu unserer Kultur. Wir wollen mit unseren Buchhandlungen ein attraktiver Treffpunkt sein mitten in der Stadt und somit auch ein wichtiger Ort der Alltagskultur. Und jetzt mal ganz unbescheiden – ich denke, das sind wir auch.

Mitarbeiter Herwig

Mitarbeiter der Buchhandlung Herwig

 

Ihr Claim lautet „Herwig – [Bücher entdecken]“.

Bei „Claim“ muss ich immer an Jack London und die Goldgräberei denken. Und tatsächlich – in gewissem Sinne sind auch unsere Buchhandlungen Claims. „Entdecken“ ist dabei durchaus wörtlich gemeint. Und so bemühen wir uns, unseren Kunden mit einer stilvollen und animierenden Präsentation jeden Tag etwas zum Entdecken zu bieten.

Einige Ihrer Herwig „Live“- Veranstaltungen besitzen mittlerweile ja schon Kultstatus.

Unsere Veranstaltungen sind ein wesentliches Element, wenn es darum geht, unsere Buchhandlungen zu einem Treffpunkt mitten in der Stadt zu machen. Kultstatus hat dabei vor allem unsere lange Büchernacht „Einschließen und Genießen“ oder auch „all you can eat read and drink“. Die Karten dafür sind mitunter schon nach wenigen Stunden ausverkauft.

Worin sehen Sie das das größte Kapital Ihrer Buchhandlungen?

In den schönen, stilvollen Läden und in unseren engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das sage ich jetzt nicht, weil man das halt so sagt als Geschäftsführer. Es ist wirklich so.

Was würden Sie sich und anderen unter den diesjährigen Weihnachtsbaum legen?

Wer bei „drei“ nicht aufm Baum ist und das Buch noch nicht kennt, der bekommt von mir Ferdinand von Schirachs „Verbrechen“ geschenkt. Vor allem Männer mögen diese glasklaren, knackigen Kriminal-Geschichten, bei denen es gleich im ersten Satz ohne Umschweife zur Sache geht. Dazu vielleicht noch Joachim Meyerhoff „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“. Herrlich seine Schilderung über das Leben mit seinen skurrilen und trinkfreudigen Großeltern in großbürgerlicher Attitude.

E-Book oder Buch? Was ziehen Sie persönlich vor?

Grundsätzlich finde ich das Format egal. Das ist Geschmackssache. Zeitungen lese ich mittlerweile fast nur noch als E-Paper. Bücher lieber klassisch.

Haben Sie einen persönlichen Lieblingsort in Ihren Buchhandlungen?

Oh ja: Die Cafébar „Libresso“.

Zum Abschluss: Können Sie mit konsequent schwäbischer Sparsamkeit Ihre Firmenphilosophie auf einen Satz herunterbrechen?

Ob nun sparsam oder nicht: Unsere Kunden sind unsere Gäste. Denen wollen wir gute Gastgeber sein.

Was Ihnen, nicht nur hier an Ihrem Lieblingsort, perfekt gelingt. Herzlichen Dank für das Gespräch.

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