Jörg Steinleitner: Herr Minister, in “Zukunft mit Maß” erläutern Sie, was wir aus der aktuellen Wirtschaftskrise lernen können. Welches ist für Sie die wichtigste Erkenntnis?
Wolfgang Schäuble: Maßlosigkeit droht alles zu zerstören, selbst das Gute. Deswegen braucht Freiheit immer auch Regeln, um nicht ins Maßlose abzugleiten. Die Krise macht deutlich, dass die soziale Marktwirtschaft auf einen staatlichen Ordnungsrahmen angewiesen ist und dass wir den bestehenden Ordnungsrahmen weiterentwickeln müssen.
Jörg Steinleitner: In Ihrem Buch schreiben Sie von der Gier des Menschen, die ein Grund für die Krise ist. Steckt diese Gier in jedem von uns?
Wolfgang Schäuble: Gier ist die Übersteigerung von Egoismus. Kein Mensch ist ganz frei davon. Es gibt auch gute Gründe, den Eigennutz zur Grundlage einer Wirtschaftsordnung zu machen. Aber wir brauchen einen staatlichen Rahmen, der Übertreibungen verhindert. Ebenso wichtig sind Werte. Freiheit muss mit der Bereitschaft einhergehen, aus eigener Überzeugung Normen und Begrenzungen zu akzeptieren.
Jörg Steinleitner: Bezieht sich diese Einsicht auch auf Bonuszahlungen für gescheiterte Manager?
Wolfgang Schäuble: Ja, das bisherige System hat die falschen Anreize gesetzt. Es hat dazu geführt, dass vollkommen irrationale Geschäfte getätigt wurden mit kurzfristig hohen Gewinnaussichten unter Missachtung langfristiger Risiken. Gleichwohl sind Boni sinnvoll. Sie müssen aber langfristigen Erfolg belohnen.
Jörg Steinleitner: Boni für Manager, die versagten, auf der einen Seite, Massenentlassungen auf der anderen. Was können Sie Menschen erwidern, die angesichts der jüngsten Entwicklungen an der Gerechtigkeit unserer Gesellschaft zweifeln?
Wolfgang Schäuble: Massenentlassungen sind die Ausnahme geblieben. Dazu hat das tatkräftige Handeln der Bundesregierung und die besonnene Reaktion der meisten Unternehmen maßgeblich beigetragen. Es ist eine fortwährende Aufgabe der Politik, einer ungerechten Verteilung von Wohlstand entgegenzuwirken und gute Bedingungen zu schaffen, damit jeder Chancen auf Aufstieg und Wohlstand hat. Und es wäre nun in der Tat ungerecht, wenn die Steuerzahler für alle Kosten notwendiger Rettungsmaßnahmen aufkommen müssten. Die Haftung desjenigen, der Risiken eingeht und scheitert, muss erhalten bleiben. Dazu müssen die Kosten und die Gewinne der Aufarbeitung von Risiken rückgebunden sein an das Kapital der vom Staat unterstützten Unternehmen.
Jörg Steinleitner: Viele leben derzeit in Sorge um ihre Existenz. Verspürten Sie persönlich auch schon einmal wirtschaftliche Existenzängste?
Wolfgang Schäuble: Wirtschaftliche Existenzängste kenne ich weniger, aber ich kann sagen, was mir in anderen schwierigen Situationen geholfen hat. Das sind Familie und Freunde, auch das Vertrauen in Gott. Und man darf nicht aufhören, auf die eigene Kraft zu vertrauen. Das gibt Gelassenheit.
Jörg Steinleitner: Sie sehen im Engagement eine Chance für eine stabile, sichere Zukunft. Als Politiker haben Sie praktisch Ihr ganzes Leben dem Engagement für die Gesellschaft gewidmet. Was ist für Sie das Beglückende am Einsatz für andere?
Wolfgang Schäuble: In der Politik kann man nach der besten Lösung für ein Problem suchen. Ich möchte etwas tun, was über das reine Geldverdienen hinausgeht und Menschen hilft. Darum geht es in der Politik: das Zusammenleben von Menschen in einer freien und gerechten Gesellschaft verantwortungsvoll zu gestalten.