Anstatt zu schreiben, spricht Lotta im Film direkt in die Kamera
Lotta hat kein Handy. Zumindest nicht in den ersten 14 Bänden von „Mein Lotta-Leben“. Eine Kamera hat sie auch nicht. Dass der Kinofilm mit einer von ihr selbst gedrehten wackeligen Tour durchs morgendliche Chaos im Hause der Familie Petermann beginnt, geht trotzdem voll in Ordnung: Sie hat sich einfach die alte Videokamera vom Papa geschnappt. Der Einstieg fungiert als Äquivalent zur Tagebuchform, in der die Kinderbuchreihe angelegt ist. Statt zu schreiben, blickt und spricht Lotta direkt in die Kamera, stellt sich als „ganz normales Mädchen“ vor, mit zwei Eltern, zwei Brüdern, einer Schildkröte und einer Flöte. „Aber jeden Morgen, wenn ich aufwache, denke ich mir, irgendwas ist hier doch nicht normal.“
Bis zu 1.000 detailreiche Zeichnungen kreiert Daniela Kohl pro Buch
Wer Lotta (noch) nicht kennt, hat garantiert keine Tochter zwischen sieben und dreizehn Jahren. Stark verkürzt könnte man diese internationale Bestseller-Reihe von Alice Pantermüller und Daniela Kohl als Pendant zu „Gregs Tagebuch“ bezeichnen – wobei Text und Bild in „Mein Lotta-Leben“ enger verzahnt sind: Einige Teile der erzählten Alltagsabenteuer wandern in Sprechblasen, sind in die Bilder integriert oder stechen durch spezielle Schriftarten und -stile hervor. Mit bis zu tausend detailreichen, teils winzigen Zeichnungen pro Buch verleiht die Münchner Illustratorin Daniela Kohl den Geschichten aus Lottas irrwitzigem Leben so eine zusätzliche Ebene.
Kurz nach Drehschluss – das Interview mit Regisseurin und Illustratorin
Seit 2012 haben sich weltweit 3 Millionen Exemplare der Gesamtreihe verkauft, neben den bislang 15 Romanen gibt es Kalender, Freunde-, Kritzel-, Ferien-, Listen- und Tagebücher zum Ausfüllen sowie Hörbücher. Und jetzt den Film: Die Regie für die von Lieblingsfilm und Dagstar Film in Ko-Produktion mit Senator Film Köln realisierte Adaption übernahm Neele Leana Vollmar – obwohl sie nach zwei „Rico, Oscar“-Filmen vorerst keine weiteren Kinderbücher verfilmen wollte. Das erzählte Vollmar beim gemeinsamen Gespräch mit Daniela Kohl im Münchner Büro der Lieblingsfilm, kurz nachdem in der Willy-Brandt-Gesamtschule in Feldmoching-Hasenbergl die letzte Klappe für „Mein Lotta-Leben – Alles Bingo mit Flamingo“ fiel.
Eigentlich wollte die Regisseurin keinen Kinderfilm mehr machen, aber dann …
„Robert Marciniak von Lieblingsfilm hatte mich angerufen und gesagt, er wisse, Kinderfilm sei eigentlich für mich kein Thema mehr, aber er wolle es nicht unversucht lassen.“ Vollmar begann zu lesen, war begeistert und sagte – angefeuert von Kameramann Daniel Gottschalk – zu: „Er meinte, Rico war für die Jungs, Lotta sei für die Mädchen.“ Wobei Vollmar das nicht so eng sieht: „Ich verstehe „Lotta“ genauso wenig als Mädchen- wie „Rico“ als Jungenfilm. Es geht eher um die Hauptfiguren, diesmal habe ich mich als Regisseurin hauptsächlich mit Mädchen und deren Freundschaft beschäftigt. Ich denke dennoch, dass beide Filme Jungen und Mädchen ansprechen.“
Der Andrang beim Casting für den Lotta-Film war gigantisch
Das zeichnete sich schon im bundesweiten Online-Casting ab: Da Vollmar die Kinder-Sprechrollen mit Laien besetzen wollte, wurden Lotta-Fans aufgerufen, sich mit eigenen Videos zu bewerben, in denen sie erzählen, warum sie welche Rolle übernehmen wollen und was sie dafür besonders gut können. Aus 1.500 Einsendungen pickten Vollmar und die Kindercasterin Ute Soldierer die vielversprechendsten Mädchen und Jungen heraus und luden sie zum Vorsprechen. Ein großer Aufwand für alle, der sich aber gelohnt habe, so Vollmar. Zudem zeigten die Bewerbungsfilme, wie wichtig den Kindern die Lotta-Bücher sind, wie gut sie sich in dieser Welt auskennen – und welch zentrale Rolle die Zeichnungen spielen.
Das Lotta-Buch in einen Film zu verwandeln, war gar nicht so einfach
Für die filmische Umsetzung bedeutete das Zweierlei: Das Drehbuch musste sich in den Lotta-Kosmos einfügen, also Ton und Witz ihrer Erfinderin Alice Pantermüller treffen, und zudem sollte Daniela Kohls grafische Handschrift erkennbar sein. Dennoch ginge es bei Romanverfilmungen nicht darum, diese eins zu eins zu übersetzen, sagt die Regisseurin. „Sondern eine adäquate Form zu finden – also die Seele des Ganzen zu transportieren.“
Bei der Planung des Films gab es Momente, die nicht ganz einfach waren
So entwickelte die Drehbuchautorin Bettina Börgerding in Zusammenarbeit mit Vollmar eine neue Geschichte mit Fokus auf der „allerbesten Freundschaft“ zwischen Lotta und Cheyenne, ließ dabei aber viele O-Töne und Anekdoten aus den ersten fünf Lotta-Büchern einfließen. Zudem zogen sie die beiden „Urmütter“ zu rate, so Vollmar: „Als wir zu viert über dem Drehbuch saßen, gab es schon Momente, in denen Daniela oder Alice meinten, so sei Lotta nicht, oder so etwas würde sie nicht machen.“ In einer frühen Version habe Lotta ihre Mama übers Handy angerufen, erinnert sich Daniela Kohl: „Dabei hat Lotta hat gar kein Handy – zumindest bisher nicht gehabt.“
Daniela Kohls Handschrift ist “Alles Bingo mit Flamingo” deutlich anzumerken
Kohl entwickelte für Vollmar eine Art Beipackzettel zum Drehbuch, in dem sie genau vermerkte, welche Illu später wo in welches Bild integriert würde. Denn das ist das Besondere: Als wesentliche Komponente vermitteln auch die Zeichnungen im Film den Tagebuchcharakter der Vorlage. Die Leinwand erscheint ab und an wie eine Tafel, auf die Lotta schreibt, kritzelt oder etwas wegradiert. Dazu gibt es Situationen, in denen sie wie in der Anfangsszene das Publikum direkt anspricht. Zur Ausstattung steuerte die Illustratorin ebenfalls einiges bei: Lotta und Cheyenne protestieren mit von Kohl gestalteten Plakaten für die Tierrettung, bei Lottas Flötenlehrer hängen von ihr gezeichnete Komponisten-Porträts an der Wand und am Baumhaus die Original-Logos der „Wilden Kaninchen“-Bande.
Lottas Papa erfährt im Film eine kleine Verwandlung
Die Mitwirkung an der filmischen Umsetzung war Neuland für Kohl – und eine Minisorge schnell ausgeräumt: „Etwas Bedenken hatte ich, dass es zu albern werden könnte, die Bücher bieten da einiges an. Doch Neele und Bettina haben diese Gratwanderung perfekt hinbekommen.“ So gebe es auch sehr emotionale Momente, vor allem mit Lottas Papa: „In den Büchern lernen wir ihn aus Lottas etwas eindimensionaler Perspektive kennen. Im Film bekommt er eine neue Facette hinzu, das gefällt mir sehr. Überhaupt gibt es jetzt auch ruhige, wärmere Szenen, auf die dann wieder ein Kracher folgt.“
Beim Setbesuch erlebte Daniela Kohl eine ziemliche Überraschung
Den einen oder anderen Kracher erlebte Kohl auch beim Setbesuch: „Im Drehbuch las ich von einem goldenen Pferd, und ich hatte mir eines aus Plastik vorgestellt. Tatsächlich stand dort ein lebendiges, goldbesprühtes Pferd!“ Den fließenden Übergang zwischen Realität und Lottas Gedankenwelt neben den Zeichnungen mittels solch aufwendiger Requisiten und gezielter Übertreibung zu vermitteln, fand Vollmar überaus reizvoll: „Ich hatte große Lust darauf, die Kinder in eine andere Welt zu entführen.“ In eine Welt aus goldenen Pferden, lebendig werdenden Flamingos, 80 Kaninchen im Kinderzimmer und echtem Regen, der aus gezeichneten Wolken tropft.
Der neueste Lotta-Band – es ist der fünfzehnte – heißt „Wer den Wal“ hat
Im Buch zum Film ist das Pferd übrigens wieder ganz normal, also schwarz-weiß, und von Kohl vielleicht mit einem entsprechenden Kommentarpfeil versehen. Kurz nach Drehschluss erschien mit „Wer den Wal hat“ übrigens Band 15 von „Mein Lotta-Leben“. Statt des heiß ersehnten Hundes bekommt Lotta darin zum Geburtstag eine Sprachreise auf eine englische Insel geschenkt. Damit sie dort gut zu erreichen ist, gibt’s von der Mama: ein Handy.
Dieser Artikel erschien erstmals in der Film News Bayern, 1-2019
Das große Daniela-Kohl-Spezial
Mehr Informationen über Daniela Kohl und ihre Arbeit gibt es in unserem großen Daniela Kohl Spezial.