Sorry, No posts.
Ein Nerd findet Gequatsche eher öde. Er will erfinden und entdecken

2017 wird das Jahr der Nerds – Steinleitners Kolumne über das Erfinden, Reparieren und einen interessanten Menschentypus

Sorry, No posts.

Lange galt der Nerd als Trottel. Doch mit der zunehmenden Digitalisierung und Technisierung ist er zum Helden geworden. Von meinem Nerdfreund Dave wünsche ich mir für 2017 die Erfindung eines 3G-Druckers. Unten erkläre ich, was für ein feines Teil das ist. Blöd ist, dass durch manche Nerd-Erfindungen Ehekrisen entstehen. Bei Nerd Dave war es eine vermeintlich harmlose Erfindung, die seine Ehefrau zur Weißglut brachte.

Kürzlich hörte ich einen alten Erfinder im Radio. Der Mann hat den Christbaumständer mit Drahtfixierung erfunden. Außerdem 150 andere Dinge. Ich mochte ihn gleich, weil er so ganz bei sich blieb, obwohl die Moderatorin ihn unbedingt zum Quatschen bringen wollte. Aber der Erfinder war wohl in Gedanken ganz woanders. Vermutlich erfand er gerade einen Wortfilter für Moderatoren.

Am schönsten wurde das Gespräch, als die Moderatorin ihn, den 78-Jährigen fragte, was er denn mal machen wolle, wenn er mit dem Erfinden kürzer treten werde. Sie hoffte vermutlich, er werde einen Wellnessurlaub ankündigen oder eine Alpenüberquerung oder eine Reise nach Jerusalem. Aber der alte Erfinder sagte nur, er wolle dann mehr in den Wald.

Ah, in den Wald, freute sich die Moderatorin. Vermutlich stellte sie sich ausgedehnte Spaziergänge vor, Vogelgezwitscher, Baum-Yoga. Aber der alte Erfinder wollte in den Wald, um sich intensiver um eine seiner Erfindungen zu kümmern: eine Art automatisches Meldesystem, das ihm mitteilt, wenn ein Baum umfällt. Der alte Erfinder wollte und will nicht kürzer treten. Das Erfinden ist sein Leben. Er ist ein Nerd.

Ein Nerd hat kein Wohnzimmer, sondern eine Werkstatt

Früher bezeichnete das englische Wort „Nerd“ ja einen Trottel oder Schwachkopf. Aber je technisierter unsere Welt wird, umso trotteliger fühlen wir anderen uns, die wir leider keine Nerds sind. Der Lieblingsnerd in meinem derzeitigen Leben heißt Dave. Er wohnt in einem Haus, das aus vier Werkstätten besteht. Eine für Elektrotechnik, eine für Modellbau, eine für Metallbau und eine für alles. Letztere grenzt direkt an das Wohnzimmer seiner Familie. Man könnte auch sagen, sie ist sein Wohnzimmer.

Ein Nerd repariert ein Mischpult für 8 Cent. Die Herstellerfirma würde 250 Euro verlangen

Als mir kürzlich das Mischpult für meine Bühnenauftritte kaputt ging, pilgerte ich damit von Elektrofachhandel zu Elektrofachhandel. Alle wollten das Ding an die Herstellerfirma schicken und kündigten mir Reparaturkosten von mindestens 250 Euro an, egal was zerstört sei. Als Dave dies hörte, wollte er die Anlage ansehen. Dave arbeitet an einer Technischen Universität und baut den ganzen Tag elektronische Messgeräte. Wenn er abends nach Hause kommt, baut er zu Hause weiter, zum Beispiel auch mal einen 3D-Drucker. Nur so zum Spaß.

Mit meiner kaputten Anlage verbrachte Dave ein ganzes Wochenende. Am Montagabend rief er mich an und erzählte begeistert, dass er sie repariert habe. Ich solle vorbeikommen. Als ich bei ihm war, legte er mir einen Schaltplan vor und klopfte mit dem Zeigefinger auf eine Stelle zwischen den mir völlig unverständlichen Strichen, Zahlen und Buchstaben: „Da lag der Hund begraben.“ Ich sah keinen Hund. Er habe alles durchmessen müssen, bis er den Hund gefunden habe. Ich nickte und lächelte dankbar. Vermutlich sah ich wie ein Trottel aus dabei.

Am Ende fragte ich Dave, was er nun dafür bekomme. Mein Nerdfreund meinte: „Nichts, hat Spaß gemacht.“ „Aber wenigstens das Material möchte ich dir bezahlen“, meinte ich. „Das Material?“, lachte mein Nerd. „Das Material hat 8 Cent gekostet. „Und wieso hätte ich dann bei der Herstellerfirma 250 Euro bezahlen müssen?“ „Weil die nicht nach diesem Bauteil suchen, sondern die ganze Platine auswechseln, auf dem viele solche Teile drauf sind.“ Das verstand sogar ich.

Wenn ein Nerd den Hühnerstall „optimiert“ ist die Ehe in Gefahr

Auf dem Nachhauseweg überlegte ich, wie schön die Welt wohl wäre, wenn es noch mehr Nerds gäbe. Es würde weniger dummes Zeug im Radio gequatscht, weniger weggeschmissen und dafür mehr erfunden und repariert. Als ich Daves Frau diesen Gedanken schilderte, erzählte sie mir, wie ihr Nerd-Mann einmal ihren Hühnerstall „optimiert“ habe. Das mit der Zeitschaltuhr, die bei einsetzender Dunkelheit die Tür verschließt, damit der Fuchs nicht mehr rein kann, sei ja noch okay gewesen. Aber Daves Eierauffang- und Weiterleitsystem hätte zu einer veritablen Ehekrise geführt: Die Hühner habe die Mechanik der Eieranlage derart verrückt gemacht, dass sie aufgehört hätten zu legen.

Als ich Dave eines Tages auf diese Erfindung ansprach, meinte er: Das Eiersystem funktioniere tadellos. Aber die Hühner – und auch seine Frau – seien einfach noch nicht so weit.

P.S.: Seit kurzem träume ich davon, dass Dave einen 3G-Drucker erfindet. G steht für Gefühle: Oben steckt man Angst und Hass rein und unten kommt Liebe raus. Wenn Dave das hinbekommt, dann wird 2017 definitiv das Jahr der Nerds.

Sorry, No posts.
<a href="https://buchszene.de/redakteur/joerg-steinleitner/" target="_self">Jörg Steinleitner</a>

Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

Das könnte dich auch interessieren: