Eines der großen Bücher des Jahrhunderts
Achtung, hier schreibt ein absoluter Ian-McEwan-Fan über den britischen Schriftsteller und seinen neuen Roman „Nussschale“. Es ist ein Werk, das für mich zu McEwans stärksten zählt, wenngleich es nicht an die Qualität von „Am Strand“ heranreicht. Aber dieser Roman über eine katastrophale Hochzeitsnacht ist ja auch eines der besten Bücher des Jahrhunderts.
„Nussschale“ nun reißt den Leser nicht sofort mit; dies, obwohl der Ausgangspunkt, ein Familiendrama aus der Sicht eines Embryos zu erzählen, von der ersten Seite an funktioniert. Diese Idee ist witzig und interessant. Aber zunächst nimmt die Story gemächlich ihren Lauf. Weil sie jedoch – wie stets bei McEwan – mit sprachlicher Eleganz und eiskalter Treffsicherheit die Wahrheit des Lebens schildert, liest man fasziniert weiter.
Sex in der Schwangerschaft und ein millionenschweres Haus
Es ist eine fiese Geschichte, in die der kleine Ungeborene hineinwächst: Seine Mutter geht fremd mit dem Bruder des Vaters. Beide planen, den Vater umzubringen. Wer hier an Hamlet denkt, liegt richtig. Aber letztlich ist dies für das Verständnis und den Genuss der Geschichte unwichtig. Der Vater ist ein Schriftsteller, der nichts von der Gefahr ahnt, in der er sich befindet. Der Bruder des Vaters ist Geschäftsmann, ein Zahlenmensch. Ihn interessiert neben Sex vor allem auch das millionenteure Haus des Bruders.
Der Embryo im Bauch erinnert hinsichtlich seiner Intelligenz, Analysefähigkeit und Neugier an Oskar Matzerath aus Grass‘ „Blechtrommel“. Was er über die Verlogenheit der Erwachsenen feststellt, ist unbarmherzig und zutreffend. Für den kleinen Schlaukopf gibt es viel zu erfahren, schließlich ist überall dabei. Sogar dann, wenn seine Mutter und ihr Liebhaber Sex haben.
Meistens endet es bei McEwan nicht nur schlimm, sondern furchtbar
Findet er dies nur ekelhaft und nicht mehr, so gerät er in große Angst, als er die Mordgedanken der beiden hört: Sollten sie ihren hinterhältigen Plan vom Vatermord tatsächlich in die Tat umsetzen, würde er ohne Erzeuger aufwachsen. Natürlich will er dies nicht. Erstens, weil ein Kind einen Vater will. Und zweitens, weil er der Mutter zutraut, dass sie ihn dann aus dem Haus geben oder sogar sterben lassen würde, um mit dem Liebhaber in ein neues Leben zu starten. Wie die Intrige ausgeht? Wer schon einmal einen McEwan-Roman gelesen hat, wird das Ende ohnehin bereits erahnen. Meistens endet es bei McEwan nicht nur schlimm, sondern furchtbar. Aber es könnte ja auch einmal anders sein.