Frau Kiesbauer, Sie schreiben selbst, dass Ihre halbafrikanische Herkunft lange Zeit kein Thema für Sie war, mit dem Sie sich beschäftigten. Woher kommt nun das Bedürfnis, dies sogar öffentlich mit Ihrem Buch „Mein afrikanisches Herz“ zu tun?
Ich war ein geliebtes, umsorgtes Kind, das von Großmutter und Mutter aufgezogen wurde. Vielleicht war das der Grund, warum ich selten Fragen über meinen afrikanischen Vater und diesen Teil meiner Familie stellte. Die Sicherheit, mit der ich mich auch als Erwachsener durch die Welt bewegte, geriet allerdings ins Wanken, als meine Großmutter und kurz danach mein Vater starben. Um mit dem schmerzlichen Gefühl der Trauer umgehen zu können, erinnerte ich mich, dass ein Teil der geliebten Menschen in mir weiterlebt. So entdeckte ich auch meine afrikanische Seele. Die Spurensuche nach meinen Wurzeln wurde bald zu einer unabdingbaren Aufgabe. Ich musste wissen, wer mein Vater war, wie er dachte, fühlte, warum er mich damals verlassen hat. Ich wollte seine Heimat kennenlernen, seine Familie, die auch meine Familie ist. Jahrzehntelang hatte ich Großeltern, Schwestern, Neffen, Nichten, Tanten, Onkel, ohne sie jemals gesehen oder mit ihnen gesprochen zu haben. Mit einem Mal verspürte ich einen inneren Drang, auf sie zuzugehen. Nicht allein, um etwas über sie zu erfahren, sondern auch, um mich besser zu begreifen.
Hat die Suche nach Ihren Ursprüngen auch damit zu tun, dass Sie demnächst selbst Mutter werden?
Ja, sehr stark sogar. Im Laufe meiner Spurensuche wurde mir bewusst, dass ich als Mischling lange Zeit eine Zerrissenheit zwischen zwei Welten verspürt hatte. In Ghana eine obruni, eine Weiße, hier bei uns eine Farbige, eine Schwarze. In beiden Kulturen verwurzelt zu sein, das weiß ich seit meiner Reise zu meiner afrikanischen Familie, muss kein Schmerz, sondern kann das genaue Gegenteil sein: ein Gewinn. Das möchte ich auch unserem Kind vermitteln.
Sie sind erst als erwachsene Frau zum ersten Mal zu dem Stamm ihres Vaters in Ghana gereist. Wie war die erste Begegnung mit diesem Teil Ihrer Familie?
Die Ghanaer verwenden eine sehr bilderreiche Sprache „Wie hoch der Vogel auch fliegt, seine Federn fallen immer zur Erde zurück“, mit diesen Worten hieß mich meine Familie willkommen und meinte damit, dass ich zwar lange weit weg war, aber dass Ghana mein Vaterland ist und alle davon überzeugt waren, dass ich wie selbstverständlich eines Tages würde zurückkommen. Dementsprechend herzlich und wie selbstverständlich war der Empfang, der mir von Anfang an bereitet wurde. Das hatte ich nicht erwartet, doch fand ich schnell den Platz in dieser meiner Familie: als Tochter meines Vaters.
Sprechen Sie die Sprache Ihrer Vorfahren?
Meine Familie gehört zum Stamm der Fanti und spricht untereinander auch diese Sprache. Während meines Besuches wurde die Konversation aber auf Englisch geführt. Ich selber beherrsche leider nur ein paar Broken Fanti.
Was wussten Sie, bevor Sie nach Ghana reisten über die Vergangenheit und die jetzigen Lebensumstände Ihrer Familie in Afrika?
Ich hatte durch die sporadischen Erzählungen meiner Mutter nur ein diffuses Bild über Ghana und meinen Vater. Der Zeitrahmen beschränkte sich darüber hinaus auf die Jahre 1967 bis 1971, als die Beziehung meiner Eltern zerbrach. Das größte Geschenk meiner Reise waren die unzähligen Gespräche mit den Familienangehörigen, in denen ich viel über das Leben meines Vaters und seine Stellung in der Familie erfahren durfte.
Sie sind 1969 in Wien geboren. Hatten Sie jemals – bevor Sie sich mit der Herkunft Ihres Vaters auseinandersetzten – das Gefühl, anders zu sein als die anderen Kinder, mit denen Sie aufwuchsen?
Um mich vor etwaigen rassistischen Anfeindungen zu bewahren, schickten mich meine Mutter und meine Großmutter auf eine internationale Privatschule. Doch auch dort entwickelte sich in mir eine Vorahnung, dass ich doch nicht so wie die anderen Kinder war. Konkrete Erfahrungen machte ich erst, als ich mit 18 Jahren als Moderatorin beim Fernsehen anfing und rassistische Briefe in der Redaktion eintrafen. Tragischer Höhepunkt dieser Anfeindungen war das 1995 auf mich verübte Briefbombenattentat. Es war Teil einer Serie von Anschlägen, bei denen vier Menschen getötet und zehn zum Teil schwer verletzt wurden.
Was sind für Sie die entscheidensten Unterschiede zwischen Ihrem Leben in Europa und dem Ihrer Verwandten in Afrika?
Mein Vater wuchs in einer Lehmhütte in Kuntu auf, einem kleinen primitiven Dorf an der Küste im Golf von Guinea. Ohne Strom. Ohne Wasserversorgung. Meine afrikanische Großmutter war so arm, dass sie nicht einmal das Schulgeld bezahlen konnte. Mein Vater wurde trotzdem unterrichtet. Ich war fassungslos, als ich nach Kuntu reiste und die Armut dort sah. Ich fragte mich, wie es mein Vater in den 50er-Jahren zum Studium nach Deutschland geschafft hatte. Wie ich erfuhr, war er aufgrund seiner außerordentlichen schulischen Leistungen mit einem DDR- Stipendium ausgezeichnet worden – von da an oblag ihm die Verantwortung und Versorgung der gesamten afrikanischen Familie. Dieser Verpflichtung kam er stets gewissenhaft nach.
Werden Sie Ihr Kind mitnehmen zu „Ihrem“ Stamm, um ihm diese Hälfte seiner Familie vorzustellen
Auf jeden Fall! Meine Reise und die Aufnahme in der Familie waren ein so wunderbares Abenteuer, dass ich diese Erfahrung unbedingt auch mit unserem Kind teilen möchte.
Könnten Sie sich vorstellen, einen Teil Ihres Lebens beim Stamm Ihres Vaters zu verbringen?
Nein, dazu bin ich dann doch zu sehr Europäerin, gewöhnt an all die Bequemlichkeiten des täglichen Lebens, die Errungenschaften moderner Medizin. Aber ich werde wieder nach Ghana reisen und eintauchen in diese Herzlichkeit, in diese Spiritualität. Es war eine unglaubliche Bereicherung in Ghana einiges von dem Ballast abzuwerfen, der uns in Europa den Blick aufs Wesentliche verstellt.