Jan Weiler im Interview
Sie lesen all Ihre Bücher immer selbst für uns ein. Schreiben Sie da das Hörbuch mittlerweile auch schon ein Stück mit?
Es gibt immer Passagen beim Schreiben, bei denen ich das Hörbuch im Kopf habe. Ich schreibe die nicht extra fürs Hörbuch, aber ich denke dann schon beim Schreiben: „Was hat die Figur in etwa für eine Stimme?“ Das ist mir immer total wichtig, weil ich es hinterher selber lesen muss … Und bei „Kühn“ gibt’s ja unheimlich viele Stimmen, es gibt Frauenstimmen, Männerstimmen, Kinderstimmen, Jugendli-chenstimmen …
Die Gegend bleibt vage, aber auch diese Geschichte spielt wieder in und um München.
Das Buch spielt zu großen Teilen in einer neuen Wohnsiedlung. Natürlich existiert die nicht in echt, aber sie könnte im Westen von München liegen, ungefähr bei Puchheim an der S-Bahn-Linie. Ich habe einfach auf Google Earth geguckt, wo noch Platz ist. Und das Lustige war, als ich schon sehr weit war mit dem Buch, lese ich morgens die Zeitung und stelle fest: Genau da wird jetzt eine Neubausiedlung gebaut.
Was fasziniert Sie so an Ihrem Protagonisten Kühn?
Ich finde Martin Kühn so faszinierend, weil er dieses Problem mit den Gedankenströmen hat, dieses Sich-nicht-mehr-konzentrieren-Können auf die wirklich wichtigen Dinge und vor allen Dingen auch: zu keinen Lösungen zu kommen. Das ist ein sehr interessantes Phänomen, das viele Leute haben, und er leidet sehr darunter. Trotzdem hat er auch Humor, und eigentlich ist er ein integrer, kompetenter, guter Typ. Aber er wird durch diese Gedankenströme derart eingeschränkt, dass er den Faden verliert.
Wie würden Sie den Sound von Kühn hat zu tun beschreiben?
Das kann ich nicht. Das müssten andere machen. Ich glaube, der Sound dieses Buches ist total mein Sound. Das zieht sich ja durch meine Figuren vom ersten Buch bis heute eigentlich durch: Es sind immer etwas dysfunktionale Gestalten. Kühn ist eigentlich als Polizist Teil der Gesellschaft, mittendrin sogar – er muss ja die Werte und die Gesetze dieser Gesellschaft verteidigen –, es funktioniert aber nicht, also hat er eine richtig tiefe Krise. Das spielt bei mir immer eine Rolle. Es geht immer um Leute, die nicht richtig hundertprozentig dazugehören.
Also ist es eigentlich kein Kriminalroman …
Nee, es ist kein Kriminalroman. Es ist ein Gesellschaftsroman. Ich hätte diese Geschichte mit diesen komischen Kaskaden im Kopf und den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, natürlich auch mit einem anderen Protagonisten erzählen können, der nicht Polizist ist, sondern Bäcker oder Verwaltungsangestellter. Aber ich wollte, dass eine Dringlichkeit hinzukommt: Er muss etwas wirklich Wichtiges tun – diesen Mord aufklären. Und dafür muss er Polizist sein. Die Krimihandlung ist in Wirklichkeit also nur ein Transportmittel für den Rest der Geschichte.
Ist Kühn der Protagonist, der Ihnen am nächsten kommt?
Das ist schwer zu sagen. Meine ersten Bücher habe ich ja alle aus der Ich-Perspektive geschrieben und sie handeln weitgehend von meiner tatsächlichen Familie, da würde man immer sagen: Der Erzähler ist dem Autor am nächsten. Aber es stimmt: Kühn ist mit allem, was ihn so beschäftigt, so ein archetypischer Mann der Gegenwart. Wie Kühn ist, sind ganz, ganz viele – und wahrscheinlich bin ich auch so ähnlich wie er.
Wie verabschiedet man sich am Ende eines Romans von einem Protagonisten wie Martin Kühn? Legt man einfach den Stift aus der Hand, klappt den Laptop zu und sagt: Bis hierhin und nicht weiter?
Das Ende von dem Buch war eigentlich das Erste, was ich geschrieben habe, die letzten drei Seiten ungefähr. Und mir war immer klar, dass das Buch so aufhört. – Wir verraten aber nicht, wie’s aufhört. – Ich wollte so ein Ende haben, wo man sagt: Das gibt’s doch gar nicht! Was ist denn jetzt los?!