ISBN 978-3-96093-738-8

272 Seiten

€ 20,00

Er war erst sieben, als er die Rolle des Klaus Beimer in der Fernsehserie „Lindenstraße“ übernahm. 34 Jahre später erzählt Moritz A. Sachs in „Ich war Klaus Beimer“ von seinem unglaublichen Leben.

Warum die Rolle in der Lindenstraße die wohl intensivste Zeit seines Lebens war – „Ich war Klaus Beimer“

Titelbild Ich war Klaus Beimer

©Fer Gregory shutterstock-ID 169841813

Herr Sachs, der 20. März 2020 war der Tag der letzten Ausstrahlung einer Folge der „Lindenstraße“. Wie ging es Ihnen, als Sie vor Monaten davon erfuhren?

Das war natürlich erstmal ein großer Schreck. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir nicht damit gerechnet. Mein erster Gedanke war: Was wird nun mit meinen Freunden und Kollegen dort? Ich habe schnell mein Telefon ausgeschaltet und bin in die Produktion gefahren, um mit unseren Produzenten zu sprechen und meine Kollegen zu sehen, den Rest des Tages habe ich dann mit Pressearbeit verbracht.

Sie spielten, seit sie sieben Jahre alt waren – seit 34 Jahren also – die Figur des Klaus Beimer. Können Sie sich ein Leben ohne „Lindenstraße“ überhaupt vorstellen? Fällt man da nicht in ein sehr tiefes, dunkles Loch?

Bisher ist das Loch ausgeblieben. Das Abschiednehmen war schlimmer. Ich habe viel zu tun, auch weil die Lindenstraße mich noch immer beschäftigt, durch Medienarbeit, Abwicklung und so weiter. Aber ich muss zugeben, dass ich dahingehend schon Sorge hatte. Ich kann mich ja nicht einmal daran erinnern ohne die „Lindenstraße“ gewesen zu sein. Längere Drehpausen gab es immer mal wieder, einige Wochen ohne Dreh sind für mich also normal. Ich rechne fest damit, dass noch der eine oder andere harte Tag auf mich zukommt, wenn noch einige Monate ins Land gegangen sind.

Wie kamen Sie seinerzeit überhaupt zur „Lindenstraße“?

Ich wurde beim Spielen im Park von einer Fotografin auf der Suche nach Kindern für Film, Theater und Werbung für „süß“ befunden und fotografiert. Über dieses Bild rutschte ich zufällig in die Auswahl der Jungs, die für Klaus in Frage kamen.

Sie waren ein Grundschulkind, als Sie berühmt wurden. Man holte sie nach der Schule ab und Sie mussten den Nachmittag über drehen. Haben Sie sich jemals unter Druck oder gestresst gefühlt?

Natürlich, aber nicht durch den Dreh selbst. Das hat mir schon immer Spaß gemacht. Die riesige öffentliche Aufmerksamkeit im Kindesalter war da schon ein anderes Thema, das war nicht immer leicht. Mein Arbeitspensum wurde zum ersten Mal richtig stressig, als ich Zivildienst machte. Da habe ich viele Wochen, zum Teil Monate, ohne Pause und freie Tage durchgearbeitet, um beiden Jobs gerecht werden zu können.

Ihre Mitschüler waren zunächst nicht begeistert von Ihrer Rolle.

Nein, ich hatte durch meine Rolle eine Ausnahmestellung. Das mögen Kinder oft nicht. Ob zu dick, dunkler oder heller als die anderen, rote Haare, Brille, Streber oder eben Schauspieler … eine Abweichung von der vermeintlichen Norm führt oft zu Ärger. So war es auch bei mir. So wurde ich regelmäßig auf dem Schulweg angegriffen. Besonders heftig war es, als mir noch in der Grundschule ein Messer an den Hals gesetzt wurde.

Das ist ja krass! Die „Lindenstraße“ hatte viele Jahre lang zehn Millionen Zuschauer. Mit einem Mal kannte Sie praktisch jeder in Deutschland. Wie wirkte sich das auf Ihren Alltag aus?

Meine Bewegungsfreiheit war in der Zeit sehr eingeschränkt. Wo immer ich hinkam, musste ich damit rechnen, dass ich erkannt wurde und schlagartig im Mittelpunkt stand. In der Kölner Innenstadt konnte es schon mal eine Stunde dauern, wenige hundert Meter zurückzulegen. Die eine oder andere Veranstaltung musste unterbrochen werden, wenn ich da war, dann musste ich erstmal Autogramme schreiben.

Wenn Sie die Persönlichkeit von Klaus Beimer mit Ihrer eigenen vergleichen – wo sind Sie sich ähnlich, und wo gänzlich unterschiedlich?

Klaus und ich sehen zum Beispiel recht ähnlich aus. Wir sind im gleichen Alter und auch stimmlich sind wir nah beieinander. Er ist etwas ruhiger als ich, war lange eher ein Mitläufertyp, das bin ich beides eher nicht. Der Lebenslauf unterscheidet sich natürlich deutlich. Dreimal verheiratet, Ex-Nazi, alleinerziehender Vater, all das kann man von mir nicht sagen.

Meinen Sie, dass der Klaus, den Sie spielen mussten, auch Ihren Charakter als Moritz verändert hat?

Das ist für mich im Grunde nicht einschätzbar. Ich war zu klein, als ich als Klaus angefangen habe. Was, wer und wie ich geworden bin, lässt sich daher wohl nicht von meiner Tätigkeit als Schauspieler trennen. Ich bin mir sicher, dass es großen Einfluss auf mein Leben hatte, aber welchen genau – wie will man dies herausfinden? Umso spannender ist es für mich nun zu sehen, was ein Leben ohne „Lindenstraße“ mit mir macht.

Lassen Sie uns noch ein wenig über die Highlights und Katastrophen der 34 Jahre „Lindenstraße“ sprechen. Was waren für Sie die schönsten Episoden der Geschichte?

Für mich als Schauspieler sind natürlich Geschichten toll, in denen ich selbst etwas Spannendes zu spielen habe. Das war immer dann, wenn es für Klaus große Veränderungen oder Einschnitte gab. Als er zum Nazi wurde, zum Beispiel. Das war auch deshalb so spannend, weil es zeitlich genau mit den Attacken auf Flüchtlingsheime in Solingen, Rostock und Hoyerswerda zusammenfiel. Das war eine wichtige und aufregende Geschichte für mich. Allgemein sind natürlich der erste Aids-Tote in einer Serie und der erste schwule Kuss im deutschen Fernsehen zu nennen, die viel ausgelöst haben. Besonders ist mir die Licht-aus-Aktion von Benny Beimer in Erinnerung geblieben, in der wir gegen die Nutzung von Atomkraft demonstrierten. Aber um ehrlich zu sein, in 34 Jahren ist so viel passiert. Da könnte ich ewig weitermachen.

Und welche Episoden fanden Sie furchtbar?

Das waren sicher auch so einige, aber die habe ich meist schnell vergessen, im eigenen Interesse. Wenn wir allzu moralisierend wurden, war es jedenfalls nicht so toll. Dann gab es auch noch so manche Folge, in der man meinen konnte, dass das ganze Leben ein einziger Schicksalsschlag sei.

Ist Ihnen irgendetwas peinlich, was Sie als Klaus Beimer gemacht haben?

Dass er dem armen Philipp immer wieder die Frauen streitig gemacht hat, war sicherlich keine Glanztat, seine Mitgliedschaft in der Wehrsportnazitruppe ebenfalls nicht. Als Klaus vor vielen Jahren nach Dresden zog, ging ihm das Geld aus. Er entschied sich dazu, in der Fußgängerzone für Geld zu singen. „Öh la Paloma blanca“, also mit sächsischem Einschlag. Das war mir schon beim Dreh hochpeinlich. Und wie er mit seinen Mitbewohnern auf Koks in der Badewanne sitzend von seiner Mutter aufgefunden wurde, war mir das für ihn ebenfalls sehr unangenehm.

Sind Sie auf eine Tat von Klaus stolz?

Dass er sich unter dem Risiko für das eigene Leben geweigert hat, einer Nachbarin Säure ins Gesicht zu kippen, war nötig, aber nicht selbstverständlich.  Ihm wurde der Arm gebrochen und er musste aus München fliehen. Da war ich stolz auf ihn. In späteren Jahren war er ein sehr couragierter Journalist, auf den man ebenfalls stolz sein konnte. Und als alleinerziehender Vater war er mein Held.

Das Besondere an der „Lindenstraße“ war ja, dass das aktuelle gesellschaftliche Geschehen sich in der Handlung widerspiegelte. An welche Ereignisse erinnern Sie sich diesbezüglich besonders intensiv?

Wiederkehrend auffällig waren unsere Wahltage. Wenn im Bund gewählt wurde, haben wir immer mit aktuellen Ergebnissen fast live mitgehalten. Das war eine Herausforderung.

Sie lernten schon als Kind berühmte Politiker wie Hans-Dietrich Genscher kennen. Konnten Sie das einordnen? Was bedeutete Ihnen das?

Da ich selbst wusste, wie es ist bekannt zu sein, hat mich das schon damals nicht über die Maße beeindruckt, andere bekannte Menschen zu treffen. Aber spannend war es natürlich trotzdem in der Kantine des Bundestags mit all den führenden Köpfen „Helgas“ Maultaschen zu essen oder mit Herrn Genscher am Tisch zu Abend zu essen. In vollem Umfang habe ich die Einblicke, die ich in so jungen Jahren erhalten durfte, erst viel später begriffen.

Als Sie dann älter wurden, entwickelte sich ein ganz anderes Problem für die Serie – Ihr Gewicht variierte stark. Wie war das?

Es ging vor allen Dingen schnell und steil hoch mit meinem Gewicht. Das war nicht nur unbequem und vielleicht unschön, sondern auch ungesund. In den Griff bekommen habe ich dies über viele Jahre nicht, obwohl – oder vielleicht auch gerade – weil ich kämpfte. Die Gewichtsprobleme auch öffentlich kommentiert zu sehen und von Fremden häufig darauf angesprochen zu werden, machte die Sache für mich nicht besser. Es ist nicht angenehm, wenn man nichtsahnend über die Straße geht und irgendjemand einem einfach auf den Bauch haut und sagt: „Bist aber fett geworden, Klausi!“

In der „Lindenstraße“ gab es auch viele Liebesszenen mit Ihnen. Das war ja – vor allem als sie noch Teenager waren – gar nicht so einfach, oder?

Gerade als Teenager ist man noch nicht so selbstsicher wie als Erwachsener. Der Körper fühlt sich neu an, die eigenen körperlichen Erfahrungen sind frisch oder stehen noch aus. Das reicht den meisten, um als Teenager zwischen Albernheiten und Verzweiflung durch ein jahrelanges Gefühlchaos zu gehen. Das in dieser Zeit auch gleich noch zu spielen, war ein Quell der Problemchen. Von der Angst vor einer Beule in der Hose bis hin zur heimlichen Liebe für eine Kollegin war alles dabei.

Was machen Sie jetzt, wo die Zeit mit der „Lindenstraße“ vorbei ist – der letzte Drehtag liegt ja schon länger zurück?

Zur Zeit bewerbe ich mich auf unterschiedliche Bereiche. Ich habe viele Jahre in der Regie, Produktion und im Eventmanagement gearbeitet. Dort knüpfe ich gerade an. Vor der Kamera soll es für mich aber auch weitergehen, als Schauspieler und Moderator. Es bleibt noch abzuwarten, wo meine Schwerpunkte in einigen Jahren liegen werden. Auf jeden Fall wird es eine aufregende Zeit, auf die ich mich freue, auch wenn ich mein Zuhause, die „Lindenstraße“, sehr vermissen werde.

Was meinen Sie, was wird von Klaus Beimer und der „Lindenstraße“ bleiben?

Ob man sie nun möchte oder nicht, die „Lindenstraße“ war für die Fernsehlandschaft in Deutschland prägend. Inhaltlich, aber auch von der Machart her. Als solche wird sie in den Geschichtsbüchern als ein einmaliges und nicht zu wiederholendes TV-Ereignis ihren Platz haben. Unsere Zuschauer sagen mir oft, dass wir für sie über die vielen Jahre fast wie Familienangehörige geworden sind. Ich denke, im ein oder anderen Herzen wird auch der Klaus weiterleben. Mir wird er natürlich als sehr prägende Person erhalten bleiben. Denn so fiktiv Klaus Beimer ist – Entschuldigung: war – so echt ist er für mich.


Mehr über Moritz A. Sachs

ISBN 978-3-96093-738-8

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Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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