ISBN 978-3-88897-542-4

€ 24,90

330 Min

Ein Gespräch über das Alter, seine beeindruckende Karriere und die Autobiografie eines der größten Darsteller aller Zeiten: Alexander Granach.

„Da geht ein Mensch“ – Interview mit Mario Adorf

Jörg Steinleitner:  Herr Adorf, wir sind überrascht: als bekanntester und beliebtester Schauspieler Deutschlands können Sie sich Ihre Hörbuchthemen eigentlich selbst auswählen. Nun lesen Sie uns mit Alexander Granachs “Da geht ein Mensch” erstens eine für einen Schauspieler vielleicht nicht so spannend vorzulesende Autobiographie vor; und zweitens die eines Kollegen, der bereits seit über 60 Jahren nicht mehr lebt. Weshalb haben Sie sich an diesem außergewöhnlichen Hörbuch beteiligt?

Mario Adorf:  In der Tat war ich es, der sich Granachs “Da geht ein Mensch” als Hörbuch zu lesen und zu produzieren ausgesucht hat. Ich kannte dieses Buch seit vielen Jahren. Neben Jospeh “Roths Hiob” und Lion Feuchtwangers “Jud Süß” steht “Da geht ein Mensch” in meiner Bibliothek in der Nische der Bücher des Herzens, Bücher, die mich mehr ergriffen und gerührt haben als alle anderen. Es ist für mich ein exemplarisch gelungener autobiografischer Roman, hinreißend erzählt, ergreifend und komisch zugleich, die beste Schauspielerbiografie schlechthin, und sie ist durchaus spannend. Sollte sie nicht spannend sein, so könnte sie nur schlecht von mir gelesen sein und ich würde mir die alleinige Schuld daran zuschreiben.

Jörg Steinleitner:  Sie sagen, Granachs Autobiographie habe Sie mehr ergriffen und gerührt als alle anderen Bücher Ihrer Bibliothek. Entdecken Sie in Granachs Lebensmotiven auch welche wieder, die Ihr eigenes Leben prägten?

Mario Adorf:  Nein, ich sehe keine persönlich prägenden Ähnlichkeiten in der Vita Alexander Granachs mit meinem Leben, dafür ist Granachs Herkunft, seine Kindheit, seine Besessenheit, den Beruf des Schauspielers ohne jede Voraussetzung ergreifen zu wollen, zu verschieden von meiner Herkunft und meinem Weg zur Schauspielerei. Aber gerade diese Verschiedenheit war und ist für mich so aufregend.

Jörg Steinleitner:  Bertolt Brecht war von Granach ebenso begeistert wie Lion Feuchtwanger, der den gebürtigen Juden Granach 1937 vor den stalinistischen Säuberungen retten konnte, indem er ihm eine Ausreisegenehmigung in die Schweiz verschaffte. Granachs Qualität als Schauspieler ist unbestritten. Was war er für ein Mensch?

Mario Adorf:  Ich glaube, Granachs Zeitgenossen waren sowohl von seiner Begabung, als auch von seiner tiefen Menschlichkeit als Person begeistert. Er galt für viele als „Jahrhundertschauspieler“. Moissi und Bassermann waren seine Vorbilder. Aber hier geht es ja mehr noch um den Autor, der kein Schriftsteller, aber ein begnadeter Erzähler war. Wenn wir heute seinen Sohn Gad Granach erzählen hören, können wir uns von seiner erzählerischen Kraft eine ungefähre Vorstellung machen.

Jörg Steinleitner:  Ihr Granach-Hörbuch besteht aus fünf CDs. Sie haben also mehrere Tage mit Granach im Studio verbracht. An die Lektüre welcher Passage erinnern Sie sich am liebsten?

Mario Adorf:  Ich denke da zuerst an die Scheidungsgeschichte seiner Eltern, als seine Mutter, nach der Geburt ihres achten Kindes der Aufgabe als Mutter, Köchin, Magd nicht mehr gewachsen zu sein glaubt und von Scheidung spricht. Ein weiser Verwandter, Szajki Rossum, fährt mit den Eltern auf einem Pferdewagen in die Stadt, um beim Rabbi die Scheidung des Elternpaares zu betreiben. Unterwegs redet dieser Szajko den beiden ins Gewissen, und stimmt sie schließlich dahin um, wieder nach Hause zu fahren. Und hier beschreibt Granach eine herzzerreißende Szene von einer einfachen und wunderbaren Menschlichkeit, dass ich selbst nach vielfachem Lesen dieser Stelle immer noch zu Tränen gerührt bin [Mario Adorf zitiert aus dem Manuskript]: „Und Vater wendete den Wagen, und Szajko Rozum sagte: »Komm, komm Aaron, schnell heim, zu Hause ist es immer am schönsten.« – »Nein«, sagte der Mann, »siehst du das Haus dort links? Das ist das große Landgasthaus, dort halten wir erst.« Und sie fuhren vor dem Landgasthaus vor, und Szajko Rozum kroch als Erster vom Wagen, und Vater hob die kleine Mama, die jetzt glühende Wangen hatte, herab von ihrem Heusitz, und sie sahen sich heute zum ersten Male in die Augen, und sie standen ganz ruhig nebeneinander, und er sagte:» Du gehörst zu mir, bist nicht meine Magd, bist nicht meine Waschfrau, bist nicht meine Köchin und niemandes Gouvernante. Aber du bist meine Mutter, die Mutter meiner Kinder, und meine Schwester, und mein Kind, und mein Freund in allen Nöten und Freuden, in alle Ewigkeit, Amen.« Und sie kamen verlegen und lächelnd in die Schänke und setzten sich zum alten Szajko an den Tisch und tranken Wodka und aßen hartgekochte Eier mit weißen Semmeln wie reiche Leute; der Szajko trank und lachte ihnen zu. Dann kauften sie noch mehr Semmeln und Salzbrezeln zum Mitnehmen für die Kinder. Und genau neun Monate später kam ich zur Welt.“ Und von diesen Szene gibt es in dem Buch unzählige bis hin zu der Geschichte, wie sich der junge Granach unter unerträglichen Schmerzen seine x-Beine brechen lässt, weil sie seine Karriere behindern würden. Eine risikoreiche Operation. Und wäre sie nicht gelungen, so wäre da die Pistole gewesen, die er im Krankenhaus unter seinem Kopfkissen versteckt bereit hielt.

Jörg Steinleitner:  Macht es für Sie als Schauspieler einen Unterschied, ob Sie einen literarischen Text in ein Hörbuch verwandeln oder eine Biographie?

Mario Adorf:  Ja. Ich finde, dass ein literarischer Text für den Hörer unendlich mehr Emotionen wecken kann als es die spannendste Biografie tun könnte. So ist eben der „Lebensroman“ Granachs ein literarisches Werk, das weit über eine Lebensbeschreibung hinausgeht.

Jörg Steinleitner:  Sie wurden kürzlich zum „vertrauenswürdigsten Schauspieler Deutschlands“ gewählt. Belustigt Sie so etwas – dies war ja vermutlich nicht Ihr allerwichtigstes Ziel bei der Planung Ihrer Karriere?

Mario Adorf:  Diese Wahl belustigt mich zum Teil, ich kann sie nur so weit ernst nehmen, dass das Publikum weniger die Vertrauenswürdigkeit meint als die Glaubwürdigkeit, und diese ist in der Tat eine Forderung, die ich immer schon an mich als Schauspieler wie auch als Privatperson gestellt habe.

Jörg Steinleitner:  In jeder großen Schauspielerkarriere gibt es Schaltstellen und Wendepunkte, die besonders wichtig für den weiteren Verlauf des Weges sind. Wenn Sie auf die unzähligen Filme und Theaterengagements Ihres Lebens zurückblicken. Welches waren diejenigen, die für sie ganz persönlich am wichtigsten waren?

Mario Adorf:  Ich sehe in meiner Karriere weniger die Schaltstellen, die Wendepunkte als das Entscheidende, als vielmehr die stete Entwicklung, die kleinen Schritte. Ein unverkennbarer Wendepunkt war allerdings die recht späte Wandlung vom Charakterspieler zum „Mittelpunktsschauspieler“, wie Dieter Wedel das nannte, als er mich zum „Großen Bellheim“ machte. Man könnte das auch einen Prozess des Alterns oder Reifens nennen, der sich optisch im Wechsel vom schwarzhaarig Dunklen zum weißhaarig Würdigen ausdrückte.

Jörg Steinleitner:  Granach stand vielen Schriftstellern – wie eben Lion Feuchtwanger – nahe. Fühlen Sie selbst sich auch zeitgenössischen Autoren persönlich oder beruflich verbunden?

Mario Adorf:  Ich würde nicht behaupten wollen, dass ich mich zeitgenössischen Autoren persönlich verbunden fühle. Aber ich würde sagen, dass Brecht mich als junger Schauspieler entscheidend beeinflusst und geprägt hat, später waren es Böll und Grass.

Jörg Steinleitner:  Bei Männern darf man, so hoffen wir, über das Alter sprechen: Sie gehen auf die 80 zu und scheinen nach wie vor über unendlich viel Energie zu verfügen. Was ist das Geheimnis Ihrer Gesundheit und Schaffenskraft?

Mario Adorf:  Einer meiner alten Lehrer hat uns junge Schauspieler gelehrt, dass dieser Beruf nichts für Schwächlinge sei, dass er eine eiserne Gesundheit erfordere, das hat mir immer eingeleuchtet. Wenn es mir vergönnt ist, mir länger als manche diese Gesundheit zu erhalten, so sehe ich dies nicht als ein Geheimnis an. Was die Schaffenskraft betrifft, so würde ich sie eher Schaffensfreude nennen, genährt von einer unverminderten Neugier.

ISBN 978-3-88897-542-4

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Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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