ISBN 978-3-492-25966-8

208 Seiten

€ 10,00

Ein Gespräch über krude Verbrechen, fürchterliche Gefängnisbesuche und das anrührende Schicksal einer Cellospielerin.

„Verbrechen“ – Interview mit Ferdinand von Schirach

Jörg Steinleitner:  Herr von Schirach, wenn man Ihr Buch „Verbrechen“ abends vor dem Einschlafen liest, kann es einem passieren, dass man nicht ganz so ruhig schläft. Kommt es vor, dass auch Sie wegen Ihrer Arbeit nachts wach liegen?

Ferdinand von Schirach:  Als ich mit der Strafverteidigung anfing, ging es mir so. Ich fuhr durch die Stadt und sagte mir, dort fand ein Mord statt, hier war ein Drogendeal, die Ecke kenne ich aus einer Akte usw. So etwas verliert sich. Manchmal kann ich nicht schlafen. Aber nicht, weil eine Tat so grausig war, sondern weil ich das Gefühl habe, dass irgendetwas nicht stimmt und ich nicht drauf komme. Oder wenn ich zu spät gegessen habe.

Jörg Steinleitner:  Was nervt Sie an Ihrem Beruf?

Ferdinand von Schirach:  Die Gefängnisbesuche. Das ist fürchterlich, der Druck, den die Mandanten ausüben. Ihre Ängste, ihre Hoffnungen, ihr Unglück – das alles werden sie bei ihrem Verteidiger los. Das kann man verstehen und muss es ertragen. Aber unangenehm ist es mir immer noch.

Jörg Steinleitner:  Wie empfanden Sie Ihr Jurastudium?

Ferdinand von Schirach:  Das Studium fand ich grässlich, die Bibliothek, in der immer alle Bücher fehlten, die aufgeregten Gespräche über die Scheine, die Ängste vor dem Examen, der Massenbetrieb. Alle sagen, man sei frei als Student, aber ich halte das für einen Mythos.

Jörg Steinleitner:  Ab wann war für Sie klar, dass Sie Strafverteidiger werden wollen?

Ferdinand von Schirach:  Strafrecht fand ich schon im Studium interessant, in der Referendarzeit habe ich kleine Verteidigungen übernommen. Es ist vielleicht ein wenig so, dass sich dort alles entscheidet. Mich hat es einfach nie interessiert, ob der A gegen den B einen Anspruch hat. Das mag einen guten Juristen als abstraktes Problem natürlich interessieren und es gibt sicher kluge Köpfe, denen es sogar Freude macht, in die letzten Verästelungen zu steigen. Es ist ja auch wirklich alles viel feiner und eleganter im Zivilrecht oder im öffentlichen Recht. Das Strafrecht ist ein wenig holzschnittartig, auch wenn die StPO ein gesetzliches Meisterwerk ist. Aber die Schuld des Menschen schien mir als Lebensthema immer interessanter. Zum Staatsanwalt oder Richter tauge ich nicht, ich bin zu parteiisch. Am Ende blieb nur Strafverteidiger.

Jörg Steinleitner:  Welche Fähigkeit muss man mitbringen, um in diesem Beruf Erfolg zu haben?

Ferdinand von Schirach:  Es gibt nicht viele Anwälte, die ausschließlich im Strafrecht tätig sind. Ich glaube, dass es das Wichtigste ist, dass man am Anfang vier, fünf Jahre bei einem erfahrenen Strafverteidiger arbeitet. Man muss mitlaufen, lernen, was er richtig macht und sehen, was er falsch macht. Es gibt viele Usancen, die in keinem Lehrbuch stehen. Wie spricht man mit einem Richter außerhalb der Hauptverhandlung, woher bekommt man einen Sprechschein für einen Haftbesuch, wie redet man mit der Polizei und wie mit dem Mandanten. Man muss das System verstehen lernen und ein Gefühl dafür bekommen, was Strafverteidigung eigentlich ist. Natürlich kann man auch einfach ein Schild an die Tür hängen, aber jeder macht am Anfang Fehler und Fehler in unserem Beruf sind für die Mandanten schrecklich. Man sollte nicht zu viele machen.

Jörg Steinleitner:  Welche Rolle spielt die Note, wenn man Strafverteidiger werden will?

Ferdinand von Schirach:  Die Noten sind nicht so entscheidend. Es gibt Einserjuristen, die völlig ungeeignet sind und es gibt Anwälte mit schlechten Examen, die brillante Verteidiger sind. Die Noten sagen etwas über die Güte als Jurist aus – und nichts über die Güte als Anwalt. Um auf hohem Niveau zu verteidigen müssen Sie schon etwas von der StPO verstehen. Aber dann kommt es auf andere Dinge an. Sie müssen frei reden können, Sie müssen Situationen schnell erfassen, Sie müssen mit Menschen aus allen Schichten zu Recht kommen, Sie müssen es ertragen, dass der Richter, der Staatsanwalt und die Presse Sie nicht mag. Soziale Kompetenz ist wichtig, Sie müssen sich Ihrer selbst sicher sein und Sie müssen andere überzeugen können. Aber vor allem: Sie müssen den Menschen mögen und neugierig sein.

Jörg Steinleitner:  Waren Sie im Repetitorium?

Ferdinand von Schirach:  Ich war zwei, drei Mal da, und fand es schrecklich langweilig. Und auch etwas lächerlich.

Jörg Steinleitner:  Werden Sie weitere Bücher veröffentlichen?

Ferdinand von Schirach:  Das will mein Verleger auch gerne wissen …

Jörg Steinleitner:  Haben Sie selbst schon einmal das Gesetz übertreten?

Ferdinand von Schirach:  Nein, natürlich nicht. Und mehr sollte man ohne seinen Anwalt auch nicht sagen.


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Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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