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Der Filmemacher über seinen NSU-Film, den er für die ARD realisierte. Ein Gespräch über Kino, Skrupel und Beate Zschäpe.

Eine beispiellose Mordserie – Florian Cossen im Interview

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Im November 2011 stellen ein Bankraub und zwei Tote in einem Wohnmobil die bisherige Arbeit der Ermittler auf den Kopf: Die seit zehn Jahren ungeklärte Mordserie ist offenbar das Werk einer Neonazi-Terrorzelle. Zwei Zielfahnder ahnen, welchen Verbrechern sie auf der Spur sind, doch sie rennen bei ihren Ermittlungen gegen Mauern. „Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch“ ist der dritte Teil der ARD-Trilogie „Mitten in Deutschland: NSU“. Wir sprechen mit Regisseur Florian Cossen über die Skrupel an einem Film zu arbeiten, dessen Inhalt gerade vor Gericht verhandelt wird, über Beate Zschäpes Schuld und lesenswerte Bücher zum NSU.

„Unsere Sicherheitsapparate haben bewusst die NSU-Szene in Thüringen mit aufgebaut.“

Herr Cossen, Sie sind einer der Filmemacher, die für die ARD den dritten Teil der Filmtrilogie „Mitten in Deutschland: NSU“ drehten. Ihr Werk „Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch“ erzählt die Geschichte aus der Perspektive der Ermittler. Was bedeutete es für Sie an einem dokumentarischen Spielfilm über ein Verbrechen zu arbeiten, während parallel gegen die mutmaßliche Tatbeteiligte Beate Zschäpe der Prozess geführt wurde?

Ich bin für Arbeitsteilung: Dokumentarfilmer dokumentieren das Geschehen. Investigative Journalisten versuchen über die Fakten der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Als Spielfilmer benutze ich ein anderes Werkzeug: Ich kann mittels Geschichte und Gefühlen eine emotionale Wahrhaftigkeit zum Leben erwecken. Durch das Brennglas der Fiktion lässt sich womöglich eine Wahrhaftigkeit erzeugen, die bei der Wahrheitsfindung dienlich ist. Darum ging es mir persönlich.

Die ARD wurde dafür kritisiert, dass die Filme bereits jetzt veröffentlicht werden, wo der Prozess doch noch läuft. Es drohe eine Beeinflussung des Urteils gegen Beate Zschäpe. Hatten Sie jemals Skrupel, sich mit quasi spielerischen Mitteln in etwas sehr ernstes Politisches einzumischen?

Interessanterweise war es genau anders herum: Die große Mehrheit der Artikel in der Presse loben den Zeitpunkt und die Aktualität unserer Filme, auch im Bezug auf den Prozess. Man kann als Filmemacher warten bis sich der Staub der Zeit auf unserer Geschichte absetzt, und man dann, aus abgesicherter Distanz, eine Art Rekonstruktion der Geschichte auf filmische Art betreiben. Oder man widmet sich auf szenische-emotionale Art einem Thema, welches die Opfer heute beschäftigt, ihnen heute noch immer den Schlaf raubt, sie noch immer mit Angst konfrontiert; ein Thema, welches Fragen aufwirft über die Methoden unserer Sicherheitsapparate, die bewusst die rechte Szene in Thüringen mitaufgebaut haben. Heute, in einer Zeit, in der Ausländerheime – genau wie vor 20 Jahren! – wieder angezündet werden und der Brand beklatscht wird, halte ich es für unsere Pflicht, nicht auf den Staub der Zeit und die sichere Distanz zu warten. Ein Journalist erwähnte in seinem Artikel, dass Chaplins „Der große Diktator“, womöglich der wichtigste und treffendste Film über Hitler noch immer ist. Der Film wurde 1940 gemacht.

Ihr Film ist ein unterhaltendes Kunstwerk. Darf, soll und muss Kunst Politik und Gerichtsbarkeit beeinflussen?

Unsere Filme bringen keine neuen Fakten ans Licht. Sehr wohl interpretieren sie aber aus drei unterschiedlichen Perspektiven, was diese beispiellose Mordserie und das ebenfalls beispiellose Scheitern der Ermittler über unsere Zeit, über unser Land, ja selbst über uns sagt. Das finde ich spannend. Zudem haben wir sehr aufwendig überprüft, dass es weder zu einer Vorverurteilung der Angeklagten, noch zu einer Retraumatisierung der Opferfamilien durch unsere Filme kommt. Und: Unsere Filme sprechen kein Urteil aus. Das ist die Arbeit des Oberlandesgerichts in München.

In der Trilogie steckt viel Vorarbeit. Vom Campingmobil bis hin zur Zigarettenschachtel mussten Sie die passenden Requisiten aus der Zeit zusammensuchen. Gab es auch Bücher, die für Ihre Arbeit wichtig waren?

Spannend, präzise und letztendlich ungeheuerlich sind folgende drei Bücher die sich mit dem NSU Komplex aber speziell mit der Verstrickung unseres Staates auseinandersetzen: Dirk Laabs‘ und Stefans Austs „Heimatschutz“, Hajo Funkes „Staatsaffäre NSU“ und „Die Zelle“ von Christian Fuchs und John Goetz

Bei „Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch“ weiß jeder Zuschauer von Anfang an, wer die Täter sind und wie sie enden. Wie kann man eine derartige Geschichte dennoch spannend erzählen?

Schauen Sie sich den Film an und Sie werden es sehen …

Sie sind bislang als Kinoregisseur bekannt – im vergangenen Jahr startete Ihre schwarzhumorige Komödie „Coconut Hero“, die Sie gemeinsam mit der Filmemacherin Elena von Saucken drehten. Was macht mehr Spaß – Fernsehen oder Kino – und weshalb?

Filmemachen ist wie ein großer Korb voller Früchte. Immer die gleiche Frucht essen ist langweilig.

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<a href="https://buchszene.de/redakteur/joerg-steinleitner/" target="_self">Jörg Steinleitner</a>

Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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