ISBN 978-3-257-06958-7

368 Seiten

€ 22,00

Benedict Wells gibt selten Interviews. Doch im Gespräch über seinen Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ gestattet der junge Schriftsteller, der zu Deutschlands besten zählt, tiefe Einblicke in sein Leben und Schreiben.

„Vom Ende der Einsamkeit“ – Benedict Wells im Interview

„Ich kam mit sechs aufs Internat. Dadurch habe ich sicher früh über Dinge nachgedacht, die andere Kinder eher wenig beschäftigten.“

Herr Wells, Ihr neuer Roman wurde mit dem Preis der Europäischen Union für Literatur (EUPL) ausgezeichnet. Es ist nicht die erste Ehrung, die Ihnen zuteil wird. Verändern derartige Glücksfälle Ihr Schreiben?

Nein, eigentlich nicht. Sie freuen mich natürlich sehr, und ich empfinde einfach ein großes Glück, wenn ich so etwas mitbekomme. Aber ich schreibe meist intuitiv und von innen heraus, bin da in einer Art Tunnel. Da denke ich an nichts anderes als an die Geschichte.

Wer einen Roman verfasst, verbringt sehr viel Zeit allein mit seinen Ideen. Da kommen unweigerlich Zweifel auf. Wie gehen Sie damit um?

Inzwischen hilft mir da oft die Routine. Ich weiß, dass die Zweifel kommen werden, aber ich weiß auch, dass ich einfach weitermachen und härter arbeiten muss, wenn es Probleme gibt. Es gibt für alles eine Lösung, so lange man Zeit, konstruktive Kritik und Motivation hat. Mal Jammern ist also erlaubt, ich muss nur weiterschreiben.

Haben Sie auch jemanden, der Ihnen so nahe steht, dass er bereits die Entstehung eines neuen Werks begleitet?

Ja, das sind immer mehrere Leser, angefangen zum Beispiel bei meiner Lektorin und meinem Agenten. Ich suche oft nach harter Kritik und ehrlicher Meinung, teste viel aus und versuche mich von Fassung zu Fassung zu steigern.

Ich habe mit fünfzehn ‘Das Hotel New Hampshire‘ von John Irving gelesen. Danach war mir klar, dass ich schreiben will.

„Vom Ende der Einsamkeit“ erzählt von drei Geschwistern, die in jungen Jahren ihre Eltern durch einen Unfall verlieren. Als ich Ihr Buch las, dachte ich: Wahnsinn, so wie der das beschreibt, muss er das selbst erlebt haben. Ich kann das ganz gut beurteilen, denn ich habe selbst sehr jung meinen Vater verloren. Dann lese ich in Ihrer Danksagung, dass Ihre Eltern wohl – welch Glück! – noch leben. Aber jetzt verraten Sie bitte eines: Wie haben Sie das hinbekommen, die Ereignisse und Gefühle, mit denen man in dieser speziellen Situation zu kämpfen hat, so genau zu beschreiben?

Es stimmt, zum Glück hatte ich ein anderes Schicksal als die Kinder im Buch gehabt. Dafür habe ich – wie die meisten Menschen – eben eigene Erfahrungen mit Verlust, Einsamkeit oder Veränderung gemacht. Diese Erlebnisse waren quasi die Tinte, mit der ich dieses Buch geschrieben habe. Schwarz auf Weiß ist mir vieles so also nie passiert, aber die Gefühle, mit denen die Szenen geschrieben wurden, sind echt. Mir war es jedenfalls wichtig, diesen Themen gerecht zu werden, so dass jeder, der damit Bekanntschaft gemacht hat, sich beim Lesen verstanden und ernst genommen fühlt.

Sie sind noch sehr jung und dabei ist Ihr Buch unerhört lebensweise und scharf beobachtet. Wie und wann haben Sie bemerkt, dass Sie einen anderen Blick auf das Leben haben als die meisten Altersgenossen? Können Sie sich diesen Blick erklären?

Danke erst mal für Ihre Worte zum Buch! Und schwer zu sagen. Vielleicht spielt bei all dem eine Rolle, dass ich mit sechs Jahren aufs Internat kam. Das hat sicherlich dazu geführt, sich früh über Dinge Gedanken zu machen, die andere Kinder in meinem Alter wohl eher wenig beschäftigt haben. Auch wenn meine Internatszeit letztlich schöner war als die von Jules im Buch, und ich auch heute noch gern an vieles zurückdenke.

Ich war sicher nie der Talentierteste. Aber ich hatte Einsatz und Wille und gab nicht auf.

Eine meiner Theorien ist, dass man durch das Lesen sehr viele Erfahrungen in viel kürzerer Zeit sammeln kann als dies im echten Erleben möglich ist. Gute Bücher wie Ihr Roman können das Leben quasi in seiner Essenz erfassen. Wie sehen Sie das? Haben Sie in Ihrem Leben viel gelesen?

Ich sehe es ähnlich. Man springt beim Lesen in die Köpfe verschiedenster Menschen, erlebt ganze andere Blickwinkel und ist gezwungen, sich auf hunderten von Seiten damit auseinanderzusetzen. Mich hat es immer inspiriert, deshalb versuche ich so viele Bücher wie möglich zu lesen. Klassiker wie auch zeitgenössische Romane. Manchmal ist es aber gar nicht die fremde Sichtweise, die ich beim Lesen liebe, sondern mehr das Gefühl, dass man nicht allein ist.

Welches war das erste Buch, das so wichtig war, dass es in Ihnen etwas verändert hat? Und kann man die Veränderung, die es bewirkte, in Worte fassen?

Das war natürlich „Das Hotel New Hampshire“ von John Irving. Ich war fünfzehn, und vorher wusste ich einfach nicht, was ich im Leben machen möchte, nichts schien interessant für mich. Danach war mir klar, dass ich schreiben will. Irvings wunderbares Buch hat mir eine Perspektive aufgezeigt und mich beflügelt.

Einmal schreiben Sie in Ihrem Roman „Ich war überzeugt davon, dass man sich zwingen konnte, kreativ zu sein.“ Ist dies auch Ihre Meinung?

Das ist vielleicht etwas überspitzt. Aber meine Überlegung war immer, dass ich nie der Talentierteste war. Selbst in meiner Schulklasse gab es sicher drei, vier Mitschüler mit mehr Talent. Das Feld, in dem man den Unterschied machen musste, war für mich also ein anderes: Einsatz und Wille und Nicht-Aufgeben. Das lag in meiner Hand, deshalb habe ich nach der Schule nicht studiert, sondern jahrelang nur gejobbt und geschrieben. Ich dachte mir dabei, dass es einfach nicht viele in meinem Alter geben konnte, die ähnlich verrückt waren, hier konnte ich also Strecke machen und versuchen, die zu überholen, die begabter waren als ich.

Sie lassen Ihre Helden lieben, Exzesse erleben, Familien gründen, Kinder bekommen, scheitern, wieder aufstehen, aber auch sterben. Das ganze pralle Leben eben. An einer Stelle Ihres Romans fragt Jules: „Gibt es Dinge in einem, die alles überstehen?“ Es wäre tröstlich, wenn es solche Dinge gäbe. Was meinen denn Sie?

Ich glaube, mit zweiunddreißig steht es mir nicht zu, da eine explizite Antwort zu geben. Aber die vier Hauptfiguren im Buch sind vier verschiedene Ansätze, wie sich diese Frage beantworten lässt.

Zur Biographie von Benedict Wells

ISBN 978-3-257-06958-7

368 Seiten

€ 22,00

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Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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