Die rothaarige Kim führt einen Kiosk auf der Bretonen-Insel Groix
Ausgerechnet an ihrem sechsundzwanzigsten Geburtstag passiert Kim das Zweitschrecklichste in ihrem Leben: Sie erfährt, dass ihre geliebte Großmutter in die Schweiz gefahren ist, um mit ärztlichem Beistand freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Diese Erkenntnis trifft Kim, die gemeinsam mit ihrem Freund Clovis einen Kiosk auf der Bretonen-Insel Groix führt, umso mehr, als sie weiß, dass schon ihre Mutter bei ihrer, Kims, Geburt gestorben ist. Da Kim auch von ihrem Vater nichts weiß, fühlt sie sich nun sehr allein.
“Ich muss herausfinden, ob es sich lohnt, alt zu werden.”
Doch so leicht will sich Lorraine Fouchets zauberhafte Heldin in “Die Farben des Lebens” nicht unterkriegen lassen. Ihre Gedanken sind klar, sie sagt sich: “Wenn ein Kind sich umbringt, ist das entsetzlich. Ein Jugendlicher? Schrecklich. Ein Erwachsener? Schlimm. Aber eine Frau von vierundsiebzig Jahren sollte doch so reif und weise sein, sich nicht den Tod herbeizusehnen.” Irgendeinen Grund muss die Großmutter gehabt haben, dass sie Sterbehilfe in Anspruch genommen hat. Schließlich war die “Katze”, wie Kim die eigentlich lebensfrohe Oma nennt, eine mutige Frau. Wieso hatte sie Angst? Und vor was genau? Das will Kim verstehen. Also nimmt sie sich vor, mit eigenen Augen zu sehen, was die Katze ausgeschlagen hat, aus Mut oder aus Feigheit, je nach Blickwinkel: “Ich muss herausfinden, ob es sich lohnt, alt zu werden.”
Kim zieht an die Côte d’Azur und wird Gesellschafterin einer alten Dame
Sofort leitet Kim alles in die Wege: Ihrem Freund Clovis eröffnet sie, dass sie für eine Weile weg muss. Über eine Freundin organisiert sie sich eine Arbeitsstelle als Gesellschafterin einer alten Dame im direkt am Meer gelegenen Antibes. Denn wer, wenn nicht alte Leute können einem kompetenter darüber Auskunft geben, ob sich das Leben zu leben lohnt?
Die Vorzüge des Alterns: träumen, schwatzen, sich tot stellen
Allerdings erweist sich Kims Arbeitgeberin als Mensch mit Ecken und Kanten. “Seien Sie gewarnt”, sagt Gilonne im Kennenlerngespräch, “ich mag weder Frauen noch Kinder noch Tiere. Sie gefallen mir nur, weil Sie auch rothaarig sind wie ich.” Dennoch scheint die Dame ein geeignetes Studienobjekt zu sein, um herauszufinden, ob es sich lohnt, alt zu werden. Kim fängt gleich mit ihren Nachforschungen an. “Ich hole mein indigoblaues Notizbuch aus der Tasche und schreibe in die Pro-Spalte: träumen, dass man jung ist; schwatzen; so tun, als wäre man tot.” Diese Freuden des Alterns hat ihr ihre neue Chefin eben verraten.
“Die Farben des Lebens” feiert das menschliche Dasein in all seinen Facetten
Aber es entwickelt sich alles noch viel besser in Lorraine Fouchets durch und durch positivem Roman “Die Farben des Lebens”: Schon bald ist Gilonne wie eine neue Großmutter für sie. Doch im Leben der Alten gibt es auch ein Mysterium: Außer Kim kümmert sich auch Gilonnes Sohn rührend um sie. Eines Tages findet Kim jedoch heraus, dass Gilonnes Sohn vor Jahrzehnten verschwunden sein soll. Wer nur ist der Mann, der sich um die feine Dame kümmert? Kim bleibt nichts anderes übrig, als tief in den Geheimnissen einer faszinierenden Familie zu stöbern. Dass sie dabei auch Erstaunliches über sich selbst herausfindet, ist weit mehr als ein schöner Nebenaspekt.
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