Ein Dorf in der Provence. Eine 100-jährige Platane, die gefällt werden soll. Und eine Dorfgemeinschaft, die das verhindern will. Frau Bluhm ist von Karine Lamberts „Eines Tages in der Provence“ hingerissen.
Frau Bluhm liest „Eines Tages in der Provence“: 5 von 5 Blu(h)men
Die 100-jährige Platane im Dorf soll gefällt werden – unerhört!
Ein 1. März. Der Frühling schleicht sich in ein kleines Dorf in der Provence. Seine 1.000 Einwohner führen ein ruhiges und zufriedenes Leben, abseits des Lärms und der Schnelllebigkeit der Stadt. Doch an diesem 1. März geschieht etwas, das den Seelenfrieden aller Bewohner des Städtchens stört: Die 100-jährige Platane, die in der Mitte des Dorfplatzes steht, soll in drei Wochen gefällt werden. Viele sind empört, vom zehnjährigen Clémant bis zur 93 Jahre alten Adeline. Und so geschieht es, dass im Kampf gegen dieses Unrecht Fremde zu Freunden und Nachbarn zu Gefährten werden. Und was die Platane zu alledem zu sagen hat, das ist nochmal ein ganz anderes Thema.
Als „Eines Tages in der Provence“ erschien, griff ich sofort zu
Dies ist das dritte Buch der Belgierin Karine Lambert. „Das Haus ohne Männer“ und die Vorjahres-Veröffentlichung „Und jetzt lass uns tanzen“ hatte ich schon seit einiger Zeit auf der imaginären Wunschliste. Als in diesem Herbst „Eines Tages in der Provence“ erschien, habe ich sofort zugegriffen. Was für ein Glück, denn dieser Entschluss befähigt mich dazu, ein wunderschönes, kleines Buch mit euch zu teilen.
Dieser Roman ist anrührend, voller Seele und einfach wunderschön
Die Geschichte um die Platane auf dem Dorfplatz ist anrührend, voller Seele und kurz gesagt: einfach wunderschön. Bestimmt liegt das zu großen Teilen an Karine Lamberts Talent der Protagonistenentwicklung. Sie stellt uns allerlei bunte und sehr unterschiedliche Figuren vor: die junge Fanny, die in einer unglücklichen Beziehung feststeckt, es aber nicht einmal merkt. Die Bar-Besitzerin Suzanne, die nach einem schweren Unfall ihres Mannes mit ihrer Existenz und Wut kämpfen muss. Den Straßenfeger François, der mit 50 Jahren zum ersten Mal Vater wird. Die Geschwister Adeline und Violette, die in ihren 91 gemeinsamen Jahren nie auch nur einen Tag voneinander getrennt verbracht haben. Die Artischockenverkäufer Manu, und natürlich an vorderster Front: den zehn Jahre alte Clémant, der sich so vehement für die Rettung seines Baumfreundes einbringt, dass es einem vor Rührung ganz warm ums Herz wird.
Der Zahnarzt ist meine geheime Lieblingsfigur in diesem Roman
Man sollte meinen, dass ein wenig mehr als 200 Seiten nicht genug wären, um so vielen Protagonisten Stimme, Persönlichkeit und Biographie zu verleihen. Doch das komplette Gegenteil ist der Fall. Die Karine Lambert schafft es mit wenigen, aber sehr einfühlsamen Worten, ihren Figuren so viel Tiefe und Charakter zu verleihen, wie es manche Autoren mit doppelt so vielen Seiten nicht schaffen. Mein insgeheimer Liebling der Geschichte: Zahnarzt Raphaël, der zweimal pro Woche direkt auf dem Dorfplatz zum Psychotherapeuten geht und eigentlich gar nicht so recht weiß warum. Sie alle und noch einige mehr, werden durch das Schicksal des scheinbar stimmenlosen Baumes zueinander gebracht. Beziehungen formen sich, Zusammenhalt erwächst aus etwas scheinbar Negativem und schenkt der jedem einzelnen Menschen neue Hoffnungen und Perspektiven für die eigene Zukunft.
„Eines Tages in der Provence“ – ein modernes Märchen zum Träumen
Doch das Außergewöhnlichste an dieser schönen Geschichte ist die Tatsache, dass die Hauptfigur des Romans kein Mensch, sondern ein Baum ist. Die Platane selbst meldet sich innerhalb der Geschichte immer wieder zu Wort und reflektiert das für sie scheinbar sonderbare Verhalten der Menschen um sie herum noch einmal auf ganz eigene und besondere Weise. Durch diese Perspektive verwandelt sich die ohnehin schon sehr schöne Geschichte in ein modernes Märchen, das zum Träumen und Verweilen einlädt.
Karine Lambert findet lauter farbenfrohe, lebenshungrige Bilder
Karine Lamberts „Eines Tages in der Provence“ ist ein wirklich wunderschönes so kleines wie feines Buch, dem es gelingt, farbenfrohe und lebenshungrige Bilder in die Köpfe seiner Leser zu zaubern. Es beginnt zwar im Frühling, passt aber auch wundervoll zum Ende dieses langen Sommers.