Frau Russo, haben Sie heute schon zu lauter Musik durch die Wohnung getanzt?
Ja, als ich vom Einkaufen zurückgekommen bin. Zu Florence and the Machine und dem Song Dog Days Are Over, also ungefähr vier Minuten lang. Danach habe ich ein Stück saftigen Orangenkuchen gegessen, eine halbe Stunde einfach mal nichts gemacht – und jetzt sitze ich gutgelaunt am Schreibtisch.
Täglich zu tanzen ist ein Tipp, den Ihre Erzählerin Jette jeder Spätsommerfrau gibt – neben morgendlicher Gesichtsgymnastik oder Singen unter der Dusche. Alles selbst erfolgreich ausprobiert?
Ich lächle mich tatsächlich jeden Tag im Spiegel an. Vor dem Einschlafen schicke ich mein Mantra ins Universum: „Ich kann das alles schaffen, alles wird gut …“ Und ich tanze vielleicht nicht täglich, wie es Jette empfiehlt, zumindest aber mehrmals die Woche zu einem tollen Musikstück durchs Zimmer. Nur mit dem Singen klappt es nicht so ganz. Unabhängig davon, dass ich fürchterlich unmusikalisch bin, kann ich mir auch die Texte nicht merken. Singen unter der Dusche hört sich bei mir so an: „I feel happy, nananana na nana na na …“
Na, zum Glück hört das dort ja kaum jemand. Ihre „Inselromane“ „Apfelkuchen am Meer“ und „Drei Schwestern am Meer“ erschienen unter dem Pseudonym Anne Barns. Warum sind Sie für „Spätsommerfreundinnen“ zu Ihrem Klarnamen zurückgekehrt?
Weil ich glücklich war, endlich mal ein Buch schreiben zu können, in dem die Hauptfigur so alt sein darf wie ich.
Dann erlaube ich mir auch die bei Autorinnen und Autoren nicht sonderlich beliebte Frage: Wie viel von Ihnen steckt noch in diesem Roman?
Die Geschichte ist erfunden, Jettes Gedanken und Gefühle haben aber viel mit mir zu tun …
Der Titel lässt es schon vermuten: Die Freundschaft unter Frauen ist zentrales Thema in „Spätsommerfreundinnen“, das Sie auch Ihrer eigenen Freundin gewidmet haben. Was zeichnet eine beste Freundin aus?
Sie gibt mir Halt und Sicherheit, weil ich weiß, dass ich auch in schwierigen Lebensphasen nicht alleine bin und immer auf sie zählen kann.
Und wie unterscheiden sich beste Freundin und Lieblingsmensch?
Der Lieblingsmensch kann zur Not auch mal ein Mann sein, die beste Freundin nicht!
Haben Sie selbst eine Freundin aus Kindheitstagen oder der Schulzeit?
Ich habe noch eine einzige Freundin aus der Schulzeit. Wir haben uns allerdings – genau wie Jette und Uta im Buch – im Alltag aus den Augen verloren. Das letzte Mal habe ich sie vor einigen Monaten getroffen. Sie hat mich auf einer meiner Lesungen überrascht, worüber ich mich sehr gefreut habe.
Sie erzählen von weiteren Formen der Verbundenheit und Trennung: Die frisch geschiedene Jette wohnt mit ihrer Tochter Jule in einer kleinen Wohnung in Oberhausen – und erkennt plötzlich, dass sie nie allein gelebt hat. Sollte frau diese Erfahrung machen?
Für mich persönlich war es auf jeden Fall eine gute Erfahrung. Es hat durchaus seine Vorteile, wenn man mal völlig selbstbestimmt ist und keine Kompromisse eingehen muss. Letztendlich wache ich aber doch sehr gerne morgens neben meinem Mann auf und genieße unser Zusammenleben. Ich finde es zu zweit schöner.
Dann halten Sie es sicher auch mit dem Schriftsteller Otto Flake, den Jettes Mutter zitiert: „Liebe ist der Entschluss, das Ganze eines Menschen zu bejahen, die Einzelheiten mögen sein, wie sie wollen.“
Es fällt mir nicht immer leicht, aber ich versuche die Menschen, die ich liebe, tatsächlich so zu nehmen, wie sie sind. Mein Mann ist Programmierer, ich schreibe Bücher und habe Kunst studiert: Ordnung trifft auf organisiertes Chaos! Da prallen teilweise Gegensätze aufeinander, die besonders zu Beginn unserer Beziehung für ordentlichen Zündstoff sorgten.
Und heute?
Mittlerweile zaubert es mir ein Lächeln ins Gesicht, wenn mein Ehemann die drei Schlüssel auf der Kommode korrekt in eine Linie rückt. Ab und an erlaube ich mir den Spaß und schubse einen davon wieder aus der Reihe, weil ich es lieber nicht so geradlinig mag. Das ist natürlich nur ein banales Beispiel. Ich liebe ihn einfach so, wie er ist. Und ich bin mir sicher, dass unser aller Leben um einiges einfacher wäre, wenn es uns gelingen würde, alle Menschen so zu nehmen, wie sie sind. Niemand ist perfekt.
Jette hat sich daheim einen etwas anderen Spruch aufgehängt: „Mal biste der Hund, mal biste der Baum – so ist das!“ Haben Sie ein bestimmtes Lebensmotto?
An meiner Wand hängen auch ein paar Karten. Auf einer steht: „Glücklich sein bedeutet nicht, von allem das Beste zu haben, sondern aus allem das Beste zu machen.“ Ich glaube, dass vieles tatsächlich eine Frage der Einstellung ist. Und dass man dankbar sein sollte für all die guten Dinge, die einem widerfahren.
Zum Beispiel auch gutes Essen: Wie in Ihren Inselromanen dreht sich in „Spätsommerfreundinnen“ vieles ums Backen und Kochen. Als Jette in ihrem Heimatort Lünzen ein Stück Buchweizentorte genießt, habe ich das Rezept gleich gegoogelt – und es dann erfreulicherweise im Anhang Ihres Romans entdeckt.
Diese Rezepte haben mir die sehr netten Dorfbewohnerinnen verraten. Die Buchweizentorte von Elfriede hat der Dalai Lama genau wie im Roman wirklich dort gegessen. Einmal im Jahr findet ein Butterkuchentag in Lünzen statt, für den der Steinbackofen aufgeheizt wird.
Oh ja, „Jettes absoluter Lieblingsbutterkuchen“: Auch bei dieser Szene ist mir das Wasser im Mund zusammengelaufen.
Leider habe ich an diesem Tag schon einen festen Termin, sonst würde ich den Weg von Oberhausen bis nach Lünzen fahren – immerhin knapp 350 Kilometer! –, nur um dabei zu sein.
Also ist das Ihr persönlicher Favorit?
Mein Lieblingsrezept aus dem Buch ist das für die Fliederbeersuppe. Die kannte ich vorher noch nicht. Sie schmeckt traumhaft gut.
Für diese Suppe wäre auch Jette einst am liebsten gestorben. Ihre Jugendliebe Jan tritt damit bei einem großen Kochwettbewerb gegen Jettes Freundin Uta an.
Ich teste übrigens alle Rezepte mehrmals und verändere die Zutaten, bis sie für mich perfekt zusammenpassen. Das schlägt sich mittlerweile auch auf der Waage nieder. Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht, ob ich mal ein Buch über eine Frau schreibe, die ab sofort Kohlenhydrate, Milchprodukte und Fette meidet und sich nur noch von gesundem Gemüse ernährt. Aber allein beim Gedanken daran bekomme ich schlechte Laune.
Apropos: Sind Sie einverstanden, „dass der liebe Gott den Frauen die Wechseljahre geschenkt hat, um ihnen die Chance zu geben, sich noch mal völlig neu zu entdecken“, wie es Tina im Roman formuliert?
Der Spruch stammt von meiner sechs Jahr älteren Schwester. Die ist schon fast durch die Wechseljahre durch und erzählt mir gerne, was noch so alles auf mich zukommt. Schweißausbrüche, Hitzewallungen und lästige Barthaare kenne ich nun schon.
Genau wie Jette …
Demnächst wird sich mein Geruchssinn ändern und ich werde alles intensiver riechen, was mitunter sehr unangenehm sein wird. Aber wenn ich das geschafft habe, werde ich mich freier und selbstbewusster als je zuvor fühlen – und (noch) mehr Spaß an Sex haben. Das klingt doch gut! Davon mal ganz abgesehen, denke ich, dass es nie zu spät ist, sich noch mal neu zu entdecken, und dass Hormone in unserem Leben tatsächlich eine wichtige Rolle spielen.
Was liegt Ihnen denn persönlich näher: der Blick zurück oder der nach vorne?
Ich schaue generell lieber nach vorne, wobei ich schon ab und an auch mal gerne an die „alten Zeiten“ zurückdenke. Es ist wie mit meinen Büchern. Wenn ich ein Manuskript abgegeben habe, schreibe ich das nächste. Nach dem Buch ist immer auch vor dem Buch. Ich freue mich auf die Dinge, die noch vor mir liegen!